Veranstaltungskritiken

Würdigung vergangener Veranstaltungen in der Kneipenbühne:

2003 13.09.

Dissonanzentrio

Die Kneipenbühne eröffnete am vergangenen Samstag die neue Saison mit dem Dissonanzentrio. So nennen sich die drei jungen Musikwissenschaftler Markus Hahn, Konstantin Voigt und David Spischak, die sich beim Studium in Erlangen gefunden und beschlossen haben, „andere“ Musik zu machen - jenseits vom Mainstream. Auf dem Programm stand dementsprechend minimal Music, verbunden mit Kirchenliedern, Freejazz, Jazzklassik - „Experimentelles“ also. Von der „Toccata in a-Moll“ über die „Hypnotische Jazznummer“ bis zum „Triptychon des Sonnenaufgangs für Farbenhörer“ war alles Mögliche geboten auf der Liste, die den Kneipenbühnen-Besuchern vorlag. Man konnte zum Beispiel gespannt sein, wie das klingt, wenn ein „altgriechisches Pattern permanent wiederholt“ und das Kirchenlied „Nun sich der Tag geendet hat“ (Adam Krieger, 1656) darüber gelegt wird: Leise begann der E-Bass, dann dazu sanftes Schlagen der Handtrommeln, das der geloopten und sampelten Viertonreihe Struktur verlieh. Darüber spielte die Gitarre Melodien, die an traumartige Unterwasserlandschaften erinnerten und heraus kam eine elegisch/coole Nummer, freie Musik ohne Netz und doppelten Boden, mit Mut zu Neuem und Verbindung zum Alten. Bemerkenswert!
Der Philosoph und Mathematiker an der Gitarre, der Kunsthistoriker und Bühnenkomponist am Schlagzeug, und der Freejazzer und Synästhetiker (heißt, dass er Musik als Farbnuancen sehen oder – umgekehrt - Farben hören kann) am Bass wurden  im zweiten Set unterstützt von Dr. Thomas Röder (ehemaliges Mitglied der legendären Deutschrockband „Ihre Kinder“), Dozent für Musikwissenschaft an der Uni Erlangen, der auf Altsaxophon und Klarinette einen äußerst spannenden Beitrag zur Musik des Trios lieferte.
Das Vertrauen auf die eigene Musikalität und die Magie des gegenwärtigen Moments schafften Strukturen, die entweder streng tragende Fundamente waren oder sich leicht wie Zeichen im Wellenspiel ergaben. Dieses Spannungsfeld konnte natürlich nur umgesetzt werden, weil die Musiker in der Theorie gefestigt und im Spiel routiniert sind: Ihre Musik will nicht gefällig sein, ist aber ästhetisch. Die strengen Ideen verschiedener Stile gerieten spontan in ungedämpften Konflikt, und doch löste sich alles spielerisch auf, weil die Musiker gelernt haben von alten und neuen Meistern: Da wurde beispielsweise das Phase-Shifting mit Melodiepatterns von Steve Reich genutzt und gleichzeitig die serielle Arbeit mit zwölf Tönen a la Schönberg. 
Man konnte sich als Zuhörer einfühlen in die treibende und zugleich ruhende Rhythmik von Miles Davis und John Coltrane, in die Lust an Zufall und Methode von John Cage, konnte sich einfühlen in die Sinnlichkeit griechischer Volkslieder und die kindliche Frömmigkeit alter Kirchengesänge – und spürte immer die Suche nach neuer Einheit. 
Bei der ,,Griechenpolka vom kleinen Fischer'' schienen die großen Trommeln und der Bass geradezu zu singen, während die Gitarre anrührend zärtliche Melodien dazu entwarf. Ein besonderes Highlight bildete „Le Nouvel Loop“: Ein Takt aus Bachs c-Moll-Präludium, nach Prinzipien der Minimal Music bearbeitet, wiederholte sich in kontinuierlicher Verschiebung und Beschleunigung. Da konnte man in Trance verfallen ... Dagegen klang „Jean-Pierre“, ein Miles-Davis-Stück, geradezu sexy. 
Musik, auf die man sich einlassen muss. Man bekommt dergleichen schließlich nicht so schnell wieder zu hören.