Veranstaltungskritiken

Würdigung vergangener Veranstaltungen in der Kneipenbühne:

2023 06.01.

Imogen Courts und Maren Bindig

Ein paar der wenigen Leute, die meine „Sonderkritiken“ lesen, beschwerten sich noch vor dem Jahreswechsel bei mir. Sie meinen, dass ich immer ausufernder werde, dass ich vom Hundertsten ins Tausendste komme, dass ich versuche, Heiligabende, Nilpferde, fränkisches Bier, doppelte Doppelgänger und „Ressischöre“ (Zitat Thomas Gottschalk) unter einen Pizza-Hut zu bringen respektive zu zwingen, ich werde für Schleichwerbung bezahlt, schäbig zwar, aber was macht man nicht alles, um zu überleben, und … Stopp? Der Satz ist zu lang? Stimmt.

Imogen Courts (ohne Malheur), geschätzte zwei Meter groß und spindeldürr, und Maren Bindig (ohne Boden), eher kugelrund und ihrer Freundin gerade mal bis unter die Brust reichend, staksten beziehungsweise wuselten am vergangenen Dreikönigstag in die Kneipe, als ich gerade damit beschäftigt war, Krückenhumel, Kruckenhümel, Küchenkrumel, nein – jetzt! –, Kuchenkrümel vom Boden aufzulesen, die von der Wandergruppe „Schund Naturputz“ hinterlassen worden waren, deren legendäres Sternsinger-Nachmittags-Kaffeekränzchen heuer wieder einmal aufgefrischt und mit selbstgemachtem aufgetischtem Kussnuchen … Stopp? Der Satz ist zu lang? Stimmt. Zurück zu den beiden übrigens sehr wortkargen Bänkelsängerinnen, Coverversionistinnen, Liedermacherinnen und Freejazzinterpretinnen; die längste Aussage, die ich aus Imogen und Maren herausbringen konnte, lautete: „Wir befinden sich [sic] auf einem ganz persönlichen Vier-Chancen-Tournier.“ Und nun zum Sport …
Manfred „Manni“ Kaltz, langjähriger Außenverteidiger beim HSV, war bekannt für seine punktgenauen, meist angeschnittenen Pässe, die bald als „Bananenflanken“ in die Fußballgeschichte eingingen, sein langjähriger Teamkollege Horst „Hotte“ Hrubesch, „Kopfballungeheuer“ genannt … ja, ist ja schon gut. Ich will mir ein Beispiel nehmen an der präzisesten und kürzesten Beschreibung eines genialen Spielzuges, die jemals formuliert wurde. Hrubesch kam in einem Interview mit fünf Wörtern aus: „Manni Banane, ich Kopf – Tor“.
Genial. Auf jeden.

Wo war ich? Beim Hund-Ersten? Beim Tau-Sender? Ach ja, Imogen und Maren betraten die Kneipe, sagten „Servus“, machten einen anmutigen Knicks, den ich mit einem höflichen Diener beantwortete, packten eine arg ramponierte Gitarre aus, auf deren Korpus mit einem dicken Edding kurz und bündig die Wörter „Courts und Bindig“ aufgemalt sind und spielten mir innerhalb von zwanzig Minuten (Pause und Applaus beziehungsweise Buhrufe des heldenhaften Zuhörers eingerechnet) ihr gesamtes Repertoire vor, 15 Lieder von erlesener Einzigartigkeit, keines länger als sechzig Sekunden. 
Die Eröffnungsnummer "Testing" (0:38) stammt ebenso wie der nach einer 59-Sekunden-langen Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Set präsentierte "Short Blues" (0:20) und danach "The Children Of Rock'n'Roll" (0:20) von Neil Innes ("Bonzo Dog Doo-Dah Band"). Aber auch Eigenes stand auf dem Programm, das auf merkwürdige Weise von John-Zorn-Kompositionen aus dessen vogelwildester Zeit durch- und unterbrochen wurde. Titel wie „Igneous Ejaculation“ (0:25), „Jazz Snob Eat Shit“ (0:28) oder "Hammerhead" (0:12) sprechen für sich und wurden von Marens voluminösem Geschrei aufs Authentischste interpretiert. Imogen zupfte dazu eine wahrhaft irre Hardcore-Gitarre. Die „Zornsongs“ stammten alle von der Langspielplatte "Torture Garden" (1990), die für sage und schreibe 42 Titel eine beachtliche Gesamtdauer von 26 Minuten aufweist. 
Hier noch zwei Beispiele aus Imogens und Marens Feder:
„Ich bin dein und du bist mein: Wasserkanne schöner sein.“ (Kann sein, dass Maren „was kann schöner sein“ sang, ich verstand jedenfalls „Wasserkanne schöner sein“ – Wahrscheinlich pfiffen mir wegen John Zorn ein wenig die Ohren.
Und zu guter (?) Letzt:
„Ich zwei Tei-le, du versteh’n? Die eine blei‘m, die andre geh‘n.“
Tschüs. Und weg waren sie.

(Wobei ich anmerken muss, dass das Gehen Imogen zugerechnet werden muss, die wirklich Riesenschritte für ihr Fortkommen verwendete, während Maren rennen musste, um ihrer Freundin nachzueilen. Imo und Ma: geh‘n und renn’n – zur gleichen Zeit!)