Veranstaltungskritiken

Würdigung vergangener Veranstaltungen in der Kneipenbühne:

2022 03.10.

Ein Kochstift

Schon seit mehreren Wochen bettelt ein arbeitsloser Kochstift darum, im Rahmen einer „Freien Bühne“ dem O’wei-Publikum seine Künste vorführen zu dürfen. Bislang konnte ich den Ex-Azubi erfolgreich abwimmeln: Für das bisschen Eibrot, das wir in der Kneipe zubereiten und verkaufen, würden wir doch keine Fachkraft brauchen (so mein Argument), und auch die anderen Rezepte: Schinken-, Käsebrot und Sandhex (Sandwich) erforderten keine Küchenhilfe. Mein Motto „I brought an eggbread“ – zu deutsch „Eibrot an Eckbrett“ – verstanden bislang die wenigsten Gäste, vor allem unser Neumarkter Starfeuilletonist nicht, dem es einst in seiner Kritik wichtiger war, aufs „Eierbrot“ einzugehen (falsch: es muss „Eibrot“ heißen, denn mehr als ein Ei kommt mir pro Brot nicht in die Tüte!), statt das Konzert zu würdigen. Na ja, jenen stets herum-(m)eiernden Zeitungsguru kann man eh in der Pfeife oder vielmehr in der Tüte rauchen; aber das Thema gehört ja gar nicht hierher.

Einmal nicht aufgepasst, schon war’s passiert: am Tag der deutschen Einheit erläutete sich am frühen Montagabend mittels unserer Outdoor-Schiffsglocke der eher schüchterne Spätteen (oder Frühtwen?) Andreas-Sebastian Forsch-Beiß (welch ein Name! Annegret Kramp-Karrenbauer und all die anderen doppel- oder dreifach-namigen Mitglieder politischer Parteien würden vor Neid erblassen*, Marie-Agnes Strack-Zimmermann jedoch nicht) Zutritt zur traditionsgemäß seit über 40 Jahren montags geschlossenen Kneipenbühne. Der Austausch-Koch aus dem Münchner Vorort Poing war vor einiger Zeit aus seinem „Ausbildungsdings und so’n Zeug und hin und her“ (er konnte sich nicht richtig ausdrücken, aber ich wusste, was er meinte) geflogen. Und zwar hatte er in einem 0-Sterne Restaurant in Bangor (einem Nest im US-Bundesstaat Maine) gearbeitet, wo er nach mehreren schwerwiegenden Fehlleistungen abgeschmettert wurde: Poing – Bangor – Poing. 
Tja, das kann jede*m passieren. Und dann platzte er heraus mit einer Geschichte, die allen Soul-Kitchen-Storys spottet: „Man trug mir auf, 'gekochte, der Länge nach halbierte Eier' mit dem in Ramona’s Marina üblichen als Kosakenzipfel aufgesetzten Frischei-Mayonnaise-Spritzer zu dekorieren. So weit, so gut. Allerdings fand ich den Preis (75,90 $ pro Portion, special offer) aufgrund des dazugehörigen Teelöffels Beluga-Kaviar für nicht angemessen (ein 100-Gramm-Döschen davon kostet 6,260 Rubel, das entspricht 105 $ – in Wirklichkeit verwendet Ramona allerdings 'Black Zarskaya Kaviarimitat aus Braunalgenextrakt', 3 $ pro 100 Gramm); und so entschied ich mich dazu, den Küüt (die gefäikten Fischeier) stattdessen in Ramonas fürchterlichen Rhenish potato salad with bacon and mayonnaise zu rühren. Das nahm man mir übel.“
(Ich musste da natürlich sofort an den wunderbaren Sketch mit Sandra Maischberger – sorry, sorry, sorry und eine demütige Entschuldigung an Gerhard Polt und seine kongeniale Partnerin – ich meine natürlich Gisela Schneeberger – denken.“)**

Jedenfalls: Der Bursche durfte wegen dieser Lappalie den Gnadendienst bei dem renommierten bayerischen Pleitier Alfons Schuhbeck re-antreten, bei dem er allerdings ebenfalls bald hochkant rausflog. Grund: „Beim Auftrag, Kartoffeln in Würfel zu schneiden, entschied ich mich für eine Seitenlänge von drei Zentimetern und versuchte, die Würfel möglichst präzise zu schnitzen. Natürlich stach ich auch die für das bekannte Spielzeug unerlässlichen Augen (1-6) aus. Man kann sich denken, dass das sehr zeitaufwendig ist, denn schließlich wollten die Würfel, die immerhin als Beilage zu einem erlesenen Würzfleisch à la SbZ (sowjetisch besetzte Zone) dienen sollten, auch noch gekocht werden. Die paar hungrigen Gäste im Nobelrestaurant brachten die Geduld nicht auf, drei Stunden auf den Hauptgang zu warten und verzogen sich nach 125 Minuten mürrisch, hungrig und ohne zu zahlen ins nahegelegene Burger-Restaurant.“

Seitdem tingelt Andreas-Sebastian Forsch-Beiß arbeits-, orientierungs- und erfolglos durch Bayerns Gaststätten, um einen Job zu ergattern – bislang allerdings ohne nennenswertes Resultat. Zum Beispiel kam sein Rezept für ‚Empftnzwempftn‘ (ein merkwürdiger Cocktail aus Spirituose, Bier und Ketchup, im Verhältnis gemischt entsprechend der Sympathie zum Kunden) weder in Schwaben, Ober-, und Niederbayern noch in der Oberpfalz an:

  1. Angenehmer Gast: Doppelter Weinbrand, 0,25 Liter Weißbier, 1 Spritzer Ketchup.
  2. Hugo-Boss- oder Lacoste- (das Krokodil-Logo: große Klappe, kleiner Schwanz) Kleidungsträger: ein mindestens dreifacher 白酒 (Baijiu, chinesischer fermentierter Hirseschnaps: "greislich!"***), ein Schluck abgestandenes Warsteiner, ein Wermutstropfen Ketchup.
  3. Nazi: ein Schoppen Blut- und Bodenwurz, eine Halbe Doppelbock, ein Schweiß- und Tränen-Tropfen Billig-Ketchup, kombiniert mit der allzu gern machomäßig entgegengenommenen Aufforderung, das Getränk nach einem ‚Sieg-Heil- Sieg-Heil-Gegröle‘ auf ex auszutrinken. „Dann musst du einen Moment warten und ihn einen Vertrag unterschreiben lassen: 60 Jahre Fremdenlegion.“

‚Empftnzwempftn‘ kam auch bei keinem einzigen stiernackigen Wirt an und bei keinem „Mir san mir, mir san schdärger wäi die Schdiä, mia san schdärger wäi di Bamm, weil ma Hoglbuachan san“-Gastronomen. Bei mir auch nicht. Ich kann mir so einen Ausnahmekoch, vor dem ich den Hut ziehe, nicht leisten.
Nun will Andreas-Sebastian Forsch-Beiß – als letzte Chance – seine Mischung in "Ober-, Über-, Unter- und Mittelfranken" anbieten. (Hier nennen ihn seine Freunde übrigens sehr fränkisch „Andibasdi“) Aber er kennt meine Landleute nicht: Die würden Schnaps, Bier und Ketchup nie mixen. „Wall die Gläser recht dreggerd wern!“ Armer Andibasdi.

Weil ich seinen nicht uninteressanten Geschichten aufmerksam zugehört hatte, wollte er mir zum Abschied unbedingt noch eine improvisierte Vorspeise à la Forsch-Beiß präsentieren: „Kotz und schmatzlos!“ (Wie gesagt, er war nicht allzu leicht zu verstehen, übrigens aufgrund eines unschönen Vorderbiss‘). Andibasdi bestand darauf, nur die Zutaten zu verwenden, die er im Kühlschrank vorfände und das Essbare, was sich in meiner Küche außerhalb der Kühlung befände. (Was hätte er auch sonst nehmen sollen??) Ich war gespannt: Im Kühlschrank lagerten Weißwurstsenf, mittelscharfer Senf, Mayonnaise, Ketchup, ein angebrochenes Glas Gewürzgurken, eine Flasche Now-Limonade (Pink Rhabarber) und Reste von der Samstagsveranstaltung: ein gekochtes Ei, zwei Scheiben Schinken, ein paar Scheiben junger Gouda, ein paar Zwiebelringe; außerhalb des Kühlschranks waren zwei Scheiben Graubrot und ein Viertel Fladenbrot, Salz, Pfeffer und Paprika zu entdecken. Forsch-Beiß‘ Resultat war erstaunlich: im Grill geröstete Brotstückchen, gemischt mit Schinken- und Käse-Brocken („keine Würfel, das wäre zu aufwändig gewesen … und auch keine Quadrate, weil das praktisch gar nicht geht wegen der fehlenden dritten Dimension!“), mit einer sämigen, leicht schäumenden süß-sauer-scharfen Senf-Ketchup-Rhabarberlimo-Sauce übergossen, mit in Paprika gewendeten Zwiebelringen belegt, mit einem in Scheiben geschnittenen gekochten Ei und länglich aufgeschnittenen Gewürzgurken sternförmig garniert: Auf den Eischeiben ein kunstvolles Mayonnaise-Türmchen: ein optisches Kunstwerk! Wie das schmeckte? Unbeschreiblich!

*   Wie viele Nachnamen darf ein Mensch haben? (SZ) (anklicken, unbedingt!)
**  Fast wia im richtigen Leben (anklicken, unbedingt!)
*** Auf Verlangen in der Kneipenbühne erhältlich (solange der aus Peking mitgebrachte Vorrat reicht)