Veranstaltungskritiken

Würdigung vergangener Veranstaltungen in der Kneipenbühne:

2022 24.04.

Horrorclown

Ich bin gerade dabei, die paar heute Abend geleerten Now-, ZZZisch- und Nullfünfer-Bierflaschen entsprechenden Kästen zuzuordnen. Jedes Mal freue ich mich tierisch, weil es nie aufgeht: ich platziere 13 Nullfünfer, fünf 0,33er-Limoflaschen, eine 0,5er Nowflasche mit Schraubverschluss und eine 0,33er Bierflasche in einen Zwanzigerkasten. Welch ein herrliches Chaos! Mir jedoch ist das zu wenig: wenn schon, dann gescheit. Bei der Brauerei, die mich anliefert, gibt es, wie gesagt, nur vier Formate. Ich aber bin für Buntheit und Vielförmigkeit. Es fehlen bei meinem Lieferanten Bügelflaschen in verschiedenen Formaten. Es fehlen Longneck-Langhalsflaschen, Vichy-Flaschen, zwei-Liter Syphon-Flaschen mit Glasgriff, Stubbis (die sind angeblich leider ausgestorben), Nullfünfer-Dosen, Baltic-Double 0,75er, Breznak zwei Liter, russische, ich sag nur Жигули (Shiguli) … No na, die Kriegsflaschen wollen wir ja sowieso nicht mehr, genauso wenig wie imperialistische Schriftsteller à la Puschkin, Dr. Schiwago, Dostojewski, Tolkien, Toelke und wie sie alle heißen.

Für die Flaschenvielfalt bräuchten wir natürlich one-size-fits-all-Bierkästen, nicht nur für zehn und wahlweise zwanzig Steckplätze. Meiner Meinung nach fehlen Vierundzwanziger als Doppeltragerl und Fünfundzwanziger; die ausschließlich für baltische Schwarzbier-Literflaschen gezimmert wurden, speziell zum rhythmischen Kastenschütteln bei akustischen Blueskonzerten auf die zwei und die vier, vorzugsweise für Muckibudenmänner, natürlich nur bei vollem Gebinde. Das wäre Klasse! Aber hier herrscht nichts als traurige Monotonie. Das macht sogar mich stupide. Urplötzlich – ich will gerade das Licht ausmachen …

„Ideenlos! Ideenlos“ Mit diesen nicht allzu leise gebrüllten Worten stürmt mitten in der Nacht nach der erfolgreichen Jahreshauptversammlung – wie soll es anders sein – eine illustre Gestalt ins Klassenzimmer, in der Hand eine veritable Schiffsglocke, die sie entsprechend laut benützt. Der als Horrorclown verkleidete Krachmacher jagt mir einen gehörigen Schrecken ein, und ich frage mit zitternder Stimme, was er denn in der Kneipenbühne wolle. Mit irrem Lachen bietet er mir an, dass ich 150 Euro zu zahlen hätte, um die Antwort zu erfahren. Dabei zieht er eine Кала́шников (Kalaschnikow, ich kann nicht erkennen, ob das eine Atrappe ist) und richtet sie genau auf meine Beine. „Falls nicht,“ brüllt er „инвалидная коляска!“ (invalidnaja koljaska – Rollstuhl). Das versuche ich natürlich zu vermeiden und ich greife mit zitternden Fingern aus der Vereinskasse die spärlichen dreißig Fünfer, die außer den noch spärlicheren Münzen in dem grünen Behälter herumliegen. „Hierfür bekommst du sagenhafte hundert Ideenlose“ kreischt das Monster und schüttet mir einen Korb mit chinesischen Glückskeksen auf den Tresen. „Ideenlose! Ideenlose!“ Dann reißt er sich die Stalin-Maske vom Gesicht und gibt mir ein Rätsel auf: „Wie nennt Putin seine Tochter?“ Ich weiß es nicht. „Vanilla, du Schmock! Vanillapudding!“

Er bedroht mich mit seiner Waffel, sorry Waffe: „Du machst alle auf; und du musst alle essen. Nein, nicht die Kekse, nur die Zettel. Aber vorher lesen“. Ich beginne: „Wer schön sein will, muss lachen“ Ich kaue, schlucke … „Komm auf die dunkle Seite“. Kau, schluck… „Das Gluck [sic], das du suchst, steckt in einem anderen Keks.“ Kau, schluck… „Sorry, das ist ein Scherzkeks – kein Glückskeks.“ Couch-luck… „Wer sein Gewicht halten will, muss auch mal Glückskekszettel fressen, wenn er keinen Hunger hat“ Kau, schluck… Kautschuk… Der Clown ist erst zufrieden, als ich aufgegessen habe und zieht mit einem irren Kichern ab, nicht ohne alle 100 geöffneten Kekse in seinen Korb zu bröseln. „Ich habe heute noch nichts gegessen“, sagt er zum Abschied, und „ich kann die blöden Sprüche nicht mehr ab, lies in Zukunft leise, wenn ich wiederkomme um das Schutzgeld einzufordern.“ Mit schwerem Schiffsglockengeläute verzieht er sich endlich. 

Morgen bekomme ich bestimmt Schwierigkeiten mit den Nachbarn, die zwar das viertelstündliche christliche Kirchenglockengebimmel akzeptieren, auf keinen Fall jedoch einen wäiki-wäiki-it’s-a-wonderful-morning-Krach.

Ich komme sehr spät ins Bett. Da mir hundert Zettel schwer im Magen liegen, brauche ich vorher noch den einen und anderen Tequila. Aber der ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Und eines schwöre ich mir. Ich achte darauf, dass die Haustüre ordentlich abgeschlossen wird, nachdem der letzte Gast gegangen ist.