Veranstaltungskritiken

Würdigung vergangener Veranstaltungen in der Kneipenbühne:

2022 16.04.

Joghurt und Skyr-Ma Honig

Am Karsamstag betätigte am späten Abend jemand schüchtern die Schiffsglocke, die rechts neben dem Eingang zum O’wei hängt: ein außerordentlich leises ‚blingbling‘ war da (fast) zu (über)hören.
Draußen standen zwei schüchterne junge Menschen, die mir flüsternd mitteilten, dass sie gehört hätten, dass heute Abend die Jahreshauptversammlung des Kulturvereins stattgefunden habe und dass es Tradition sei, dass da seit Jahren Weltklasse-Überraschungskünstler auftreten. Das musste ich leider verneinen. (Beides.) Die Veranstaltung sei erst morgen in einer Woche – ich tat untröstlich –, und ob die überhaupt stattfinde, stehe noch in den Sternen; zu viele Absagen, zu wenige Zusagen, trotz Leberkäse- und Kartoffelsalat-Versprechen …

Oh, da hätte es keine Zeit, da sei es auf Tournee, bedauerte das sympathisch wirkende Pärchen, und schickte sich an, mit gesenkten Köpfen umzukehren. 
Ja, das Duo wirkte geknickt. Ich erbarmte mich also und bat die beiden herein in den relativ kalten Kneipenraum. Warum sie denn flüsterten, fragte ich neugierig. „Na ja“, kam als fast unhörbare Antwort, „heute ist ein stiller Feiertag in Bayern! Und da darf man doch keinerlei Veranstaltungen äh … veranstalten?“
„So eng sieht das ein Atheist wie ich nicht. Wie heißt ihr denn und was macht ihr?“ fragte ich entsprechend leise.  

Sein bürgerlicher Name sei Johann Kurth, aber jedermann (und jedefrau!) nenne ihn Jo. Sie heiße Irma Honig. „Honig?“ Irma habe jüdische Vorfahren, und die hätten sich im 19. Jahrhundert ihre Nachnamen selbst aussuchen dürfen. „Der Psalm 19.11 lautet ‚Sie sind köstlicher denn Gold und viel feines Gold; sie sind süßer denn Honig und Honigseim.‘“ (Wer oder was denn eigentlich? Ach so, die Urteile des Herrn, meines Felsens und Erlösers. Ich blätterte vorhin nach im dicken Buch der logischen Fehler.) Das Wort ‚Honig‘ habe ihrem „סבא רבא רבא" (saba raba raba – Ur-Ur-Großvater) gefallen und seitdem heiße ihre Mischpoke so. Die Familie habe schon 1933 den Nazis rechtzeitig entkommen können; Johanns und Irmas Rundreise von Mausheim über Oberweiling, Finsterweiling, Waldhausen, Batzhausen, Kotzendorf, Prügel, Hunger, Ochsenschenkel, Gebersdorf, Großhabersdorf und Mausgesees habe infolgedessen „irgendwie“ etwas mit der Erinnerung an Flucht und Verfolgung zu tun. Sie machten normalerweise zwar „Kinder-Kaschperl-Zeug“, wollten jedoch in den jetzigen Zeiten versuchen, „ein neues Bein zwischen die Tür zu kriegen“ [sic] und verzweifelte Kleinkunstveranstalter trösten, aber auch „Zeitgenossen mit globoliförmigen Knopfäuglein die Kurzsichtigkeit nehmen und den Quatsch ausreden, Kriegs-Ängstlingen Mut zusprechen und Impf-Panikern die irrationale Scheu nehmen.“ Ein löbliches, wenn auch höchstwahrscheinlich sinnloses Unterfangen, wie ich meine.
„Als Künstler nennen wir uns Joghurt und Skyr-Ma. Wir wollen jetzt keine Kinder-Unterhalter mehr sein, sondern Poetry-Slammer – und (!) wir sind Vegetarier.“
Der merkwürdige Name erschließe sich ohne weiteres, merkte ich anerkennend an.  

Joghurt und Skyr-Ma präsentierten anschließend – ausschließlich für mich – ein vegetarisches Privat-Kinder-Radio-Programm (ihr Erwachsenen-Repertoire sei erst im Entstehen). Das Duo trug seine Texte unsicher im Flüsterton vor, was mich enorm stresste, denn ich höre offenbar schlecht. Beispiel: Statt „Philipp Rösler“, ehemaliger Bundeswirtschafts-, Gesundheitsminister und Vizekanzler, verstand ich in einer Radiosendung einst „Willi Brösler“, ein Name, der zu dem FDP-Mann sehr viel besser passen würde, wie ich damals meinte. Brösler röselt sich derzeit durch mehrere Aufsichtsräte, immer auf der Suche nach dem besten Geld für sich und die Seinen. Ach ja, und statt „einen Dornfelder“ verstehe ich „Seniorenteller“ – dies nur am (Krüger- äh Teller-)Rand … Echt saulustig, oder?
Dass ihre meist lahmen Gedichte nicht unbedingt auf eigenem Kompost gewachsen sind, musste ich mit Bedauern feststellen: In einem Fall nämlich klauten sie ausgerechnet von mir, natürlich ohne es zu wissen. Offensichtlich hatten sie meinen Roman „Reïnklonation“ gelesen und waren im 69. Kapitel ‚Wie Adam und Eva, nur anders‘ auf mein ‚Lied vom Brot‘ gestoßen, ein bewegendes, für Vegetarier jedoch recht bedenkliches Gedicht, das sie mit ihrem Gemurmel komplett versemmelten. Da ich ‚Reïnklonation‘ unter dem Pseudonym Henry Ewiger geschrieben hatte, waren sie in die O’wei-Falle getappt.
Vorliegender Verriss nützt ihnen also bestimmt nicht beim künstlerischen Fortkommen. 

Mein Gedicht ist brutal gut! Deshalb wurmt es mich wirklich gewaltig, dass Johann Kurt und Irma Honigseim keine Quelle angaben, wohl weil sie meinen, so ein dickes Buch wie ‚Reïnklonation‘ werde sowieso niemand jemals in die Hand nehmen. Und darum habe ich auch alle Fotos ihres ‚Auftritts‘ gelöscht. Rache ist schäbig; aber süß wie Bachblüten-Liesl … äh … Bachblüten-Liesls Hiffenmarmelade!
Unwissend und unbekümmert blödelten ‚Joghurt und Skyr-Ma‘ weiter vor sich hin. „Unser Programm ist für Kinder ab zwölf. Die jüngeren müssen halt schauen, dass sie herwachsen.“ Der Satz stammt, soviel ich weiß, von Gerhard Polt. Mit Schüttelreimen wie ‚Ohne Honigseim geh ich so nich' heim‘, ‚Auf dem Bruderboot ess ich ein Butterbrot‘ (russisch ausgesprochen), ‚Das ist ein braver Hai, der frisst nur Haferbrei‘ und ähnlich Vegetarischem versuchten sie, meine Laune zu verbessern. Vergeblich, denn ganz doof wurde es bei ihren vegetarischen Rezepten. Ich zitiere: ‚Nan mehme Blonnensumenöl, Zanillevucker, Flaferhocken, Kürbiskerne (blöd, aber ja: Kürbiskerne), Nalwüsse, Flokoskokken.‘ Es folgten gänzlich unverständliche Sätze. Wahrscheinlich ging es darum, die genannten Zutaten in einer Pfanne zu rösten um zum Schluss ‚falbhette Muhkilch, Hienenbonig, Sapfelaft, Trizone cetetera krüberzudippen.‘ Ach, ich höre jetzt besser auf.

Nach einer knappen Stunde komplimentierte ich die beiden Bindweutel – sorry – Windbeutel hinaus. „Warum?“ – „Kein Kommentar, keine Gage!“