Tistou – Rezensionen

Können und die wahre Liebe zur Musik – Golly, die Kneipenbühne Oberweiling, "Tistou" und eine neue CD

In den 14 Jahren ihres Bestehens hat sich die "Kneipenbühne Oberweiling" nicht nur beim Publikum den Ruf für ansprechendes Programm erworben, sondern auch die Musiker kommen immer wieder gerne, um hier aufzutreten. Auch im Herbst werden absolute Highlights zu sehen sein, die genauen Daten stehen aber derzeit noch nicht fest. Golly Hertlein ist selbst mit Leib und Seele Musiker. 1960 begann er klassisch und stieg bereits 8 Jahre später auf Blues um, einer Leidenschaft. der er auch heute noch zusammen mit "Go Babe" frönt.
Aber auch als Liedermacher, Deutschrocker und Gospelmusiker hinterließ Golly Spuren in der Szene. Gerade die Stilvielfalt, die Sicherheit mit der es in den Genres zuhause ist und die Kompromisslosigkeit machen seine Produktionen zu einmaligen musikalischen Leckerbissen. Mit der Band "Triaho" nahm er 1994 die CD "Attacken Part 1" auf und im Frühjahr 1996 soll der zweite Teil folgen.

"Tistou - Ein Hippie-Märchen-Musical' nennt sich die aktuelle CD von "Triaho", die vom Konzept der "Attacken-Produktionen" abweicht. Es ist ein sehr ansprechendes und ausgereiftes Werk, das Golly komponiert, getextet und zusammen mit der Band und einigen Gastmusikern in eigenen Knopf-Studio eingespielt hat. Im April und Mai wurde die Bühnenversion des Musicals in der Kulturfabrik Berching mehrmals mit großem Erfolg aufgeführt. Zusatztermine sind wahrscheinlich. Es ist schon mutig, in der heutigen Zeit dem an Passivität gewohnten Publikum per CD abzuverlangen, dass es synchron zur Musik im umfangreichen und mit Liebe gestalteten Booklet mitliest. Sehr bewusst wurde auf einen Sprecher, auf einen Geschichtenerzähler verzichtet. Es lohnt sich jedoch, sich voll und ganz auf "Tistou" zu konzentrieren, es erschließen sich ganz neue Musikwelten, ganz neue Sphären des Erlebens, des Verstehens. Musik und Texte, ja Kunst überhaupt, bekommen eine neue Dimension. Alles was man für dieses intensive Erlebnis braucht, ist etwas Phantasie und Zeit.

Die musikalische Bandbreite der CD geht von swingenden, jazzigen Liedern über Anleihen aus der Volksmusik bis hin zum Kinderlied, und jeder Ton entfaltet ein einmaliges Flair. Hier sind absolute Könner am Werk. Gollys Handschrift, seine musikalische Persönlichkeit und Erfahrung sind jedoch deutlich herauszuhören und das hat ja auch schon seine früheren Produktionen ausgezeichnet. Neben Wortspielen, wie etwa "…sie kamen aus Tralien und aus Merika" arbeitet er auch mit Tonmalerei. So braucht man bei "lm Garten“ nur die Augen zu schließen und man "sieht" Tistous Pony Turner vor sich herumtollen. Das liegt aber nicht alleine am galoppierenden Rhythmus des Liedes, sondern an der gesamten Instrumentierung, an der perfekt reproduzierten Atmosphäre. Und die Geschichte von "Tistou“? Man sollte nicht zu viel vorwegnehmen, um dem Hörer das unvoreingenommene Erleben dieser CD zu ermöglichen. Aber soviel sei gesagt: "Tistou", der Sohn eines Waffenhändlers, bringt es mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten fertig, dass sein Vater die Produktion von Watten aufgibt. Und so "nebenbei" heilt er auch noch ein gelähmtes Mädchen und verhindert einen Krieg. Ein Märchen halt, das aber auch Wirklichkeit sein könnte, das Wirklichkeit ist, das funktioniert und zwar auch ohne außergewöhnliche Fähigkeiten. Es ist nur ein bisschen guter Wille erforderlich. Guter Wille, der schon damit anfängt, dass man sich die Zeit nimmt, diese außergewöhnliche CD mit dem Booklet in der Hand für sich zu erschließen. 

(Alois Braun)

Wenn aus Kerkergittern Blumen Sprießen

Die Uraufführung von "Tistou – ein Hippie-Märchen-Musical" in Berching wurde zum überwältigenden Erfolg.

Berching. Im Foyer der Kulturfabrik herrscht eine halbe Stunde vor Beginn des Hippie-Märchen-Musicals Tistou schon reges Treiben. Es ist Markt in der kleinen Stadt Kimmelkorn, ein Markt mit Gemüsestand, einer Bude, an der T-Shirts, Kaffeetassen und CDs verkauft werden, einem wunderschönen Modell, mit dem sich ankommende Gäste fotografieren lassen können, mit Straßenmusikanten, die die Szenerie bevölkern etc . . . Das Publikum muss sich durch diese belebte Gasse begeben, um in den Zuschauerraum gelangen zu können, wo es von einem Kartenknipser empfangen und von einer Fremdenführerin durch die Stadt Kimmelkorn geleitet wird. Erst dann darf mittendrin Platz genommen werden. Man spürt es: hier findet kein gewöhnliches Guckkastentheater statt, sondern etwas ganz Neues.

Die Geschichte von Tistou ist schnell erzählt: ein kleiner Junge, dessen Vater Waffenfabrikant ist, entdeckt, dass er mit seinen Daumen in Windeseile Blumen wachsen lassen kann, wo immer er will: mit dieser Begabung verschönert er zuerst seine Heimatstadt Kimmelkorn und beglückt deren Bewohner, später verhindert er sogar einen Krieg und bringt selbst in verhärteten Seelen neue Saiten zum Klingen: eine richtige Flower-Power-Thematik also.
Bühnenautor, Komponist, Arrangeur und Ein-Mann-Band Golly entnahm den Stoff dem Kinderbuch "Tistou les pouces vertes" von Maurice Druon, einem französischen Romancier, der mit seiner Geschichte aus den fünfziger Jahren "vorgefasste Meinungen" an den Pranger stellte.
Berni- Haas-Sörgel, die als Regisseurin zusammen mit Golly und den Kostüm- und Bühnenbildnern Sigrid und Berthold Noller schon mehrere erfolgreiche Produktionen (man erinnere sich an Peter Pan und das Dschungelbuch) auf die Bühne brachte, hat mit eben diesem Team in der Kulturfabrik Berching endlich einen wirklich fruchtbaren Boden gefunden, auf dem sie Gollys Bühnenstück kongenial umsetzen konnte. Dabei erschien das Ganze schon eher als Wagnis: im Vergleich zu früheren Produktionen, in denen man auf Altbewährtes und Altbekanntes zurückgreifen musste, hatte man es bei "Tistou – ein Hippie-Märchen-Musical" mit einer Welt-Uraufführung zu tun. Wann hat es das je in Neumarkt oder im Landkreis Neumarkt gegeben?!
Aber der Mut zum Neuen gab der Kulturfabrik recht:
35 Schauspieler, zum Großteil Kinder, bringen fast zwei Stunden lang Spannung und Kurzweil unter die Leute. Linker Hand das Armenviertel, rechter Hand das Gefängnis und der Zoo – Tistou lässt im Verlauf der Handlung überall Blumen sprießen, mit Hilfe einer Bühnentechnik, bei der den Zuschauern manchmal der Mund offenstehen bleibt. Übrigens: das gesamte Bühnenbild ist mit viel Liebe und Perfektion hergestellt. Auch die Lacher kommen nicht zu kurz, zum Beispiel beim Einzug der Gefangenen, oder später, wenn der Ex-General und Geschäftsführer Trommelpfiff seine Begabung zur Lyrik entdeckt.
Eine überragende schauspielerische Leistung zeigt die erst zehnjährige Theresa Heil in der Rolle des Tistou, überzeugend auch Julian Sörgel als Gärtner Schnurrebarbe/Dr. Vielübel, Hans Schoyerer als Trommelpfiff, Gesche Zimmermann als Erzähler und Lissi Streb als Mama. Aber auch die vielen kleineren Rollen, angefangen bei den Zootieren, den Armen, dem kranken Mädchen bis zu den kulissenschiebenden Handwerken sind im darstellerischen Bereich für ein reines Laienteam erstaunlich gut. Zusätzlichen Pep bringen immer wieder die beiden Zeitungsjungs ins Geschehen, wenn sie ihre Extrablätter (mit dem tatsächlichen Verlauf der Handlung) ans Publikum verteilen. Die musikalische Fusion aus Klassik, Folklore und Jazz, mit der Golly die Handlung untermalt, mag zwar im ersten Moment für manche Ohren ungewohnt sein, stellt sich jedoch bei genauerem Hinhören als motivisch aus einem Guss dar und endet in einem Ohrwurm, dem sich kaum jemand entziehen kann. (Das erkennt man noch deutlicher beim Anhören der "CD zum Musical“ von der Gruppe Triaho)

Die ausverkaufte Premiere endete mit Ovationen, es musste das Schlusslied, die "Blumenhymne", wiederholt werden. Das Publikum – darunter ein Team des Bayerischen Rundfunks - schunkelte, während andere Zuschauer mit den Schauspielern dazu Walzer tanzten. Unter der anwesenden Prominenz war übrigens auch Landrat Bauer. Berni Haas-Sörgel jedenfalls hat als Regisseurin mit "Tistou - ein Hippie-Märchen-Musical" für Provinztheater neue Maßstäbe gesetzt. Bleibt zu hoffen, dass sich auch bei den nächsten Aufführungen möglichst viele Zuschauer von Tistous grünen Daumen verzaubern lassen, damit der von der Kulturfabrik Berching eingeschlagene Weg auch in Zukunft weitergegangen werden kann. (Nächste Vorstellungen am 6., 7., 12., 14., 19., 21., 27. Und 28. Mai. Kartenvorverkauf im Kaufhaus Hutter, Berching)

Tistou – Figurentheater