Riccardas Glück

Singspiel nach romantischen Motiven
Text und Musik: Golly

 

 

 

Riccardas Glück -

Personen
in der Reihenfolge ihres Auftretens

Lucio FèrroGondoliere
RiccardaTouristin
EvaldoStrichjunge
WampiKneipengast
CapitanaWirtin
AdamoStrichjunge
GesinaEvaldos und Adamos Zuhälterin
vier Straßenräubervermummt, können von Fèrro, Evaldo, Capitana und Gesina gespielt werden
Leviathne van HelsingÄrztin


Ort: Venedig
Zeit: jetzt

Riccardas Glück

1. Akt

1.Szene

Venezianische Kulisse, im Hintergrund ein Haus.
Maskierte Pärchen, die sich langsam – erotisch – zur Eröffnungsmusik bewegen.

Eröffnungsmusik: Venedig – die Schöne (CD: Nr. 1)
Nach mindestens einer Instrumentalstrophe Gesang aus dem Off:

Venedig - die Schöne - erhebt sich stolz; und im Triumph
steht sie mit morschen Füßen bis zum Knie im Sumpf.
Auf schmutzigem Wasser tanzen Sonnenstrahlen Tarantellen
und morbider Charme liegt auf den Wellen.

Venedig – die Schöne – trägt Geschichten tief in ihrem Bauch
und wenn man genau hinhört, spürt man sie auch.
Nehmt Platz in ihrem Spinnennetz und fühlt euch wie daheim.
Ihr Gift raubt euch die Sinne und dann trinkt sie euer Blut wie Wein.

Ihre Anmut gründet sich auf Gier, Macht und Geld,
beim Maskenball versteckt sie ihr Gesicht vor der Welt.
Venedig – die Schöne – erhebt sich stolz; und im Triumph
steht sie mit morschen Füßen bis zum Knie im Sumpf.

Während der zweiten Hälfte der dritten Strophe fährt eine Gondel aus dem Off langsam zur Bühnenmitte und bleibt dort stehen.
Evaldo zeigt sich am Fenster.

Lucio Fèrroein venezianischer Gondoliere; er hinkt, zudem trägt er einen roten und einen schwarzen Stiefel, ansonsten im Outfit wie eben ein Gondoliere.
Riccardain weißer Bluse und elegantem Kostüm, sie trägt einen Mantel überm Arm.
Evaldoleicht bekleidet.

LucioHaben Sie das gehört!? Solch ein pathetischer Schmonzes.
RiccardaAch, so schlecht find ich das gar nicht … Sie summt oder pfeift kurz die Melodie.
LucioVielleicht haben Sie recht. Ich muss halt immer zweifeln und verneinen. Ich kann nicht anders.
RiccardaWie kommt‘s?
LucioEs ist meine Natur. Aber sagen Sie, was machen Sie um diese Zeit in Venedig? Filmfestspiele und Karneval sind vorbei ... und die Biennale hat noch nicht begonnen?
RiccardaIch habe mein Haus und meinen Laden verkauft. Nun bin ich auf dem Weg in die Toscana, um mich dort niederzulassen und zum Eigenbedarf Wein anzubauen. Ich wollte einfach einen Abstecher nach Venedig machen. Außerdem – man sagt, Venedig sei zu allen Zeiten schön.
LucioVielleicht … Aber hören Sie: Wein anbauen in der Toscana! Sind Sie da nicht ein wenig blauäugig?
RiccardaBestimmt! Aber es ist mir egal. Nur weg von dem Kleinbügermief daheim.
LucioErzählen Sie!
RiccardaNun, mein Vater ist unlängst verstorben. Ich bin die einzige Erbin.
LucioUnd Ihre Mutter?
Riccarda

Sie hat sich vor Jahren wegen ihm umgebracht. Er war so ein Widerling! Ersparen Sie mir Einzelheiten.

Riccarda versinkt in Gedanken. Sie singt:

Riccardas Groll und Wehmut: Endlich bin ich frei! (CD: Nr. 2)
Endlich bin ich frei!
Endlich ist‘s vorbei
mit der Tyrannei.
Papa, falls du im Jenseits bist,
wünsche ich,
dass du mich siehst:
Du kannst mich nicht mehr plagen und
ich brauch‘ dich nicht ertragen!
Es ist vorbei!
Es ist vorbei!
Vorbei!

Endlich bin ich frei,
Endlich ist‘s vorbei
mit der Ausbeuterei,
mit deiner Besserwisserei,
mit meiner Duckmäuserei,
mit deinem ewigen Geschrei
und meiner Kriecherei,
mit deiner Mäkelei
und meiner Schufterei,
mit meiner Speichelleckerei,
mit der Sklaverei,
mit deiner Spioniererei
und deiner Zänkerei
ist es vorbei!
Es ist vorbei!
Es ist vorbei!
Vorbei!
Vorbei!
Vorbei!

Lucio Und nun?
RiccardaUnd nun habe ich alles verkauft, was mit ihm und seinem Geschäft zu tun hatte. Nur um ihm eins auszuwischen! Sie werden verstehen, dass ich auch diese Kleinstadt, in der ich zwanzig Jahre meines Lebens gefangen war, verlassen wollte. Jeder kennt jeden. Ach, und jeder weiß alles und alles besser.
Lucio Das hört sich traurig an.
RiccardaIst es auch. Aber im Moment geht es mir blendend! Ich habe einen Schlussstrich gezogen und bin über meinen … über Vaters Schatten gesprungen.
LucioSind Sie jetzt glücklich?
RiccardaEigentlich ja. Außer, dass ich noch nichts erlebt habe in meinem traurigen Dasein, und mir momentan teuflisch langweilig ist. Ich würde mir gern die Zeit – sie macht eine schüchterne Geste – mit einem hübschen Jungen vertreiben.
LucioSie meinen …
Riccardanickt verschämt
LucioDas ist kein Problem. Doch ich muss Sie warnen. Wenn man Liebe allzu leicht bekommt, muss man meist teuer bezahlen. Wenn schon nicht mit Geld, dann zumindest mit Schmerzen. Zudem ist ein Kampf um den Liebsten zwar unbequem, aber unvergleichlich spannender!
RiccardaAch, warum soll ich mich anstrengen! Ich hab genug Geld und will keine Zeit verlieren.
LucioZeit verlieren! – verwundert– Wie soll das gehen? Nun gut. Wenn Sie wollen – mit dem Burschen kann ich Ihnen helfen. Sehen Sie doch zum Fenster dort hinüber. Was halten Sie von diesem da? Er deutet zum Fenster, in dem sich Evaldo zeigt.
RiccardaBezaubernd. … Aber … Sie werden doch nicht behaupten, dass mir dieses wunderschöne Wesen zur Verfügung steht?
LucioSicher doch. Allerdings … – bedeutungsvoll – es wird nicht ganz billig werden.
RiccardaNa, dann fahren Sie mich doch zur Eingangstüre! Und hier, Ihr Lohn und ein Trinkgeld für Ihre Bemühungen. Reichen 50 Euro?
LucioIch mache mir eigentlich nichts aus Geld, nehme es aber trotzdem, um Sie nicht zu beleidigen. Sie sind sehr großzügig. Herzlichen Dank, meine Liebe.

– Vorhang –

Verwandlungsmusik: Tarantella für eine Affäre (CD: Nr. 3)
Erotischer Tanz maskierter Pärchen, Riccardas und Evaldos Affäre vorwegnehmend

Riccardas Glück

2. Szene
Evaldos Zimmer

Riccardain Bluse und Kostüm.
Evaldoleicht bekleidet.

Im Zimmer befindet sich ein großes Bett, ein großer Spiegel, ein Garderobenständer,
ein kleiner Tisch, zwei Stühle, alles ist in intimes rotes Licht getaucht.
Als der Vorhang aufgeht, wird Riccarda gerade mit Ankleiden fertig.

EvaldoWenn es dir gefallen hat, darfst du gerne noch einmal kommen.
RiccardaEvaldo. Das war so gut mit dir, Junge, ich kann*s gar nicht beschreiben. In dich könnte ich mich verlieben. Hier hast du zu deinem Lohn noch einmal einen Hunderter. 
Evaldowill ihr verwirrt etwas herausgeben.
RiccardaNicht der Rede wert ... Du?
EvaldoWas ist?
RiccardaIch will ja nicht indiskret sein, aber ... macht dir dein Job eigentlich Spaß?
Evaldoärgerlich: Ihr Kundinnen fragt immer dasselbe! Es ist besser, als in der Fabrik an der Stanze zu stehen ... oder einer keifenden, eifersüchtigen Ehefrau das Geld heimzutragen, die dir dafür Kinder wie am Fließband produziert. Und mit dir ... war es doch sehr angenehm. Du riechst wenigstens nicht so penetrant.
Riccardakichert etwas unsicher Oh, danke für das Kompliment: Du meinst, alle Ehefrauen sind eifersüchtig?
EvaldoDas ist kein Problem. Doch ich muss Sie warnen. Wenn man Liebe allzu leicht bekommt, muss man meist teuer bezahlen. Wenn schon nicht mit Geld, dann zumindest mit Schmerzen. Zudem ist ein Kampf um den Liebsten zwar unbequem, aber unvergleichlich spannender!
RiccardaKichert etwas unsicher Oh, danke für das Kompliment. Du meinst, alle Ehefrauen sind eifersüchtig?
LucioIch kenne keine anderen!
RiccardaDarf ich dich noch etwas fragen?
Evaldo Jetzt willst du bestimmt wissen, ob ich mich verlieben könnte? Womöglich noch dazu in dich ... und dann würdest du mich hier herausholen aus meinem Elend und das ganze Blabla ... Stimmt's?
Riccarda Warum bist du so verbittert? Glaubst du nicht, dass es so etwas gibt? Ich bin auch gerade dabei, mich zu befreien  - vom Schatten meines Vaters. Erzähl mir lieber von deiner Sehnsucht, deinen Träumen. Du hast doch noch welche, stimmt's?
Evaldo Ach, Riccarda. Die Träume hat man mir schon lange ausgetrieben und aus der Seele gerissen. Und Sehnsucht lasse ich nicht hochkommen. Ich will nicht dauernd traurig sein.  Er macht eine wegwischende Handbewegung – als ob er Erinnerungen vertreiben wollte: Zum Teufel mit der Liebe! Ich lasse sie nicht mehr zu ...

Mit Evaldos vorletztem Satz setzt Musik ein. Er singt:
Evaldos Sehnsucht –Du dummes heißes Ding (CD: Nr. 4)

Herz, du sitzt im Käfig, in ewiger Einzelhaft.
Knöcherne Gitterstäbe zügeln deine Leidenschaft.
Herz, du liegst gefangen im Arterien- und Venennetz.
aus dem Brustkorb zu springen ist gegen's Naturgesetz.

In deiner dunklen Zelle schlägst du vor dich hin
und wärst gewiss so gerne eine Brandstifterin.
Du weißt, meine Phantasie könnte dich zum Feuervogel machen,
und auf brennend roten Schwingen würdest du meine Liebe entfachen.

Du würdest fragen. Will sie mir gehören?
Du würdest wissen wollen, was geschieht?
Ob ihre Wangen erglühen von innen,
wenn sie mich vorübergehen sieht?
Ob ihre Augen leuchten vor einem Rendezvous?
Und klopft ihr Herz den Rhythmus meines Namens immerzu?

Doch ich kann und will es nicht wissen,
Ich hielte die Enttäuschung nicht aus.
Darum, mein Herz, gib Ruh.
Hör auf zu fragen! Du!
Warum sollte ich an ihre Liebe glauben?
Du dummes heißes Ding!
Nur weil sie gerade ein wenig an meinen Lippen hing?

Evaldo vertreibt mit einer Geste seine Traurigkeit.

EvaldoSag mal, hast Du Lust, mit mir auszugehen?
Riccarda Warum nicht! Kennst Du eine Kneipe, in der man sich so richtig wohl fühlen kann?
Evaldo Sicher doch. Wenn du willst, gehen wir gleich. Ich erwarte heute keine Kundin mehr.
Riccarda Ich muss vorher noch ins Hotel, Nachschub holen. Sie macht mit den Fingern das Zeichen für Geld. Treffen wir uns doch nachher. Wie heißt das Lokal?
Evaldo Zum Schwarzen Reiter. Ist gleich im Haus daneben, gar nicht zu verfehlen. Übrigens, wenn du dich frisch machen willst. Er deutet auf eine Tür.
Riccarda Gerne! Sie verlässt Evaldos Zimmer. Es sind Waschgeräusche zu hören.
Evaldo durchsucht eilig Riccardas Mantel, der an der Garderobe hängt, überfliegt ihre Papiere, filzt ihre Geldbörse, nickt und zieht eine anerkennende Schnute. Er erschrickt, denn Riccarda kommt unverhofft ins Zimmer.
Riccarda die Situation ignorierend: Das hat gut getan. Ich geh jetzt, Evaldo. In einer Stunde im Schwarzen Reiter?
EvaldoJa, mein Süße. Ich freue mich auf dich.

– Vorhang –

Verwandlungsmusik: Eifersuchts-Bolero (CD: Nr. 5)
Zwei Frauen und ein Mann (alle drei mit Masken) stellen tanzend Eifersucht dar.
Die Musik reicht in die Szene hinein (bei Beginn der Szene gefühlvoll leiser drehen).

Riccardas Glück

3. Szene
Im Schwarzen Reiter

Lucio Fèrrowie vorher
Wampiein stiller Zecher. Er ist nicht besonders fein gekleidet und sitzt einfach nur am Tresen, als gehöre er zum Inventar. Er bestellt hin und wieder ein neues Getränk und gibt frei improvisierend manchmal mehr oder weniger passende Kommentare.
Capitanahemdsärmelig, trägt eine Lederschürze; sie sieht bleich und verzweifelt aus, wie eine lebende Tote; sie geht langsam und gebeugt, wie unter einer großen Last.
Adamodezent gekleidet. Er ist tätowiert und trägt etwas auffällig viel Schmuck: Ohrringe, Piercing etc., ferner eine dunkle Sonnenbrille und einen Spazierstock.
Gesina gekleidet wie eine Mafia-Domina: Hut, Nadelstreifenkostüm, High-Heel-Stiefel, Schmuck, Zigarre.

Die Kneipe besteht aus Tresen, Gläserregal, Barhocker, einem Tisch mit fünf Stühlen, einer Jukebox;
schummerige Beleuchtung, vielleicht Kerzen auf Tresen und Tisch.
Lucio und Gesina sitzen Zigarren rauchend am Tisch,
auf dem eine Flasche Rotwein und zwei halb leere Gläser stehen.
Capitana und Adamo betreten den Raum, Arm in Arm.
Sie beginnt den Tresen zu polieren, Adamo nimmt am Tresen Platz.

Capitanastets mit brüchiger Stimme sprechend: Danke, Adamo. Du hast mir wie immer etwas Linderung verschafft.
AdamoIch habe zu danken, Capitana. Du hast mich gut bezahlt.
GesinaApropos bezahlt, du Mistkerl! Hierher und kusch: Abliefern! Wie ich die Wirtin kenne, hat sie dir das Geld wieder in den Rachen gestopft ... oder sonst wohin. Sie lacht böse. Zu Lucio gewendet: Der betrügt mich doch ständig!
CapitanaGib es ihr, ruhig, Adamo. Wenn sie weg ist, gebe ich dir noch einmal das Doppelte.
GesinaDu wirst dich hüten. Er wird mir so schon zu frech!
Adamosteht auf, gibt Gesina ein beachtliches Bündel Scheine, und kehrt zu seinem Tesenplatz zurück, mit unsicheren Schritten.
GesinaSo ist es recht. Abgerechnet wird später. Du weißt schon, wie? Das magst du doch.
Adamo etwas gequält: Ja.
Gesina Wie heißt das?
Adamo Ja, Herrin.
Gesina Na also. Zu Capitana: Ist er nicht süß?
Capitana Hör schon auf, ihn zu demütigen.
Gesina Ach was. Sie macht eine verächtliche Handbewegung. Adamo ist ein dummes, verliebtes Turteltäubchen ... Adamo!? Hast du deine liebste Frau Capitana nicht schon einmal gefragt, ob sie dich mir abkauft? He! Ist doch nicht so weit her mit ihrer Liebe, oder? Und außerdem bist du mir verfallen, stimmt's? Keine weiß so gut wie ich, was du brauchst!
Capitana Lass ihn in Ruhe. Was willst du für ihn? 10.000? 50.000? 100.000? Hier hast du! Nur: – mit Nachdruck – Lass ihn in Ruhe! Sie wirft Gesina ein riesiges Bündel Geldscheine hin und nimmt dann Adamo tröstend in die Arme. Der bleibt für den Rest der Szene am Tresen sitzen und himmelt Capitana an.
Lucio zu Capitana, intim: Denke nach. Kann man Menschen kaufen? Mach so weiter, und du hast keine guten Chancen! Du weißt schon … von deinem Pakt loszukommen.
Capitana seufzt verzweifelt. Ach ja?
Gesina Capitana! Wie kann man nur so eine Missgeburt wie Adamo lieben?
Capitana Ich weiß nicht ob ich ihn liebe. Wie kann man jemanden lieben, wenn man keine Zukunft hat ...
GesinaAdamo! Hast du gehört, sie liebt dich gar nicht. Hat dich gekauft und liebt dich nicht. Ich weiß, du kommst zurück in meinen Schoß, mein Hündchen. Über kurz oder lang. Ha! Sie trinkt einen großen Schluck Wein und schenkt sich dann nach. Soll ich euch eine wahre Geschichte über die Liebe erzählen?
LucioSchieß los!
Gesinanimmt einen Mund voll Zigarrenrauch und bläst ihn in die Runde. Na dann hört mal genau zu!

Mit Gesinas letztem Satz setzt düstere Musik ein. Die Zuhälterin spricht und singt.
Gesinas Zynismus: Liebe macht blind (CD: Nr. 6)

Gesprochen:
Es war einmal ein junger Bursche, Adamo, glaube ich, hieß er …
Dessen Liebe war voller Schwärmerei.
Und er hatte einen Herzenswunsch: Die Frau, nach der er sich vor Sehnsucht verzehrte,
– Kunstpause – möge blind werden. Und warum? Um ihr so seine Liebe zu beweisen.
Sicher würde sie vor Verzweiflung sterben wollen –
denn wer möchte schon in totaler Finsternis leben? Und dann käme sein Auftritt:
Er wäre so edel und würde ihr seine Sehkraft schenken.

Ein armer aber ehrlicher Teufel erfüllte ihm den Wunsch
und das Objekt seiner Begierde verlor auf der Stelle das Augenlicht.
Nun gab es eine Ärztin in der Stadt, eine wahre Koryphäe.
Die bat unser Freund um eine Augentransplantation.
Die gelang auch. So weit, so gut.
Da aber die Frau von nun an die Welt mit ganz anderen Augen sah
und sofort wusste, wer ihr den ganzen Schrecken eingejagt hatte,
war es ihr natürlich nicht möglich, Dankbarkeit zu zeigen,
geschweige denn, seine Liebe zu erwidern.
Unser Adamo ist seither auf Nachtschicht …
Das ist praktisch, da er sowieso nichts mehr sieht.
Und daher kommt der Spruch, dass Liebe blind macht …

Gesungen
Liebe macht blind.
Liebe, Liebe, Liebe,
Liebe, Liebe.
Und in alle Ewigkeit:
Blindheit ist eine Kleinigkeit

Gesina schaut in die Runde, Beifall heischend. Aber nur Adamo applaudiert ihr, schüchtern.

Riccardas Glück

4. Szene
Im Schwarzen Reiter

Lucio Fèrrowie vorher
Wampiwie vorher
Capitanawie vorher
Adamowie vorher
Gesina wie vorher
Evaldo trägt einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, italienische Schuhe, dezenten Schmuck.

Evaldobetritt die Kneipe. Hallo, Gesina, meine Liebe.
GesinaWas soll das? Wer hat dir gesagt, das Feierabend ist, du ...
Evaldofällt ihr ängstlich ins Wort: Gleich kommt eine. Mit einem Haufen Geld!

Gesina

Das will ich hoffen für dich. Denn wenn du mir die Zeit stiehlst, dann ... – sie schlägt sich mit der linken Faust in die rechte Handfläche – du weißt schon.
Evaldoweicht ängstlich zurück. Zu Adamo: Jetzt habe ich auch endlich einmal so viel Glück wie du – die hat mindestens so viel Geld wie deine Frau Capitana! Und sie ist total süß. Ich bin beim ersten Blick in ihren braunen Augen versunken.
Gesina süßlich: Evaldo, mein Täubchen, die Capitana – Kunstpause – hat mir gerade den Adamo abgekauft. Das ist Liebe, was? Aber zurück zum Geschäft. Was für eine kommt gleich?
EvaldoMeine letzte Kundin. Die ist reich, sag ich dir! Und süß!
GesinaVorsicht, Strichjunge!
Evaldo Und nett. Ach! – ein Seufzer von Herzen
LucioWenn es meine letzte Gondelkundschaft ist, dann rechne dir gute Chancen aus, Gesina. Wenn du sie schröpfen willst: Du weißt, ich werde dich nicht verraten, aber ich will mit deinen Betrügereien nichts zu tun haben! Jeder Mensch hat immer die Möglichkeit, das Richtige zu tun. Mach was draus!
Gesina Der arme aber ehrliche Gondoliere. So wird nie etwas aus dir, Lucio!
Lucio Geheimnisvoll: Was ich bleibe, bin ich und was ich bin, das  bleib' ich. Zum Publikum: Ich glaube, es ist an der Zeit mich zu outen. Er steht auf, nimmt sein Weinglas, hinkt zum Rand der Bühne und beginnt dort zu singen.

Bis auf Capitana, die Lucio aufmerksam zuhört,
scheint keiner der anwesenden Gäste von Lucios Lied Notiz zu nehmen (einfrieren).
Lucios Lied: Ich trinke auf das Böse (CD: Nr. 7)

Ich trinke auf das Böse, es hält die Welt in Schwung.
Es hat die wahre Größe, es bringt Befriedigung.
Im Himmel gibt es keine Sünde und das ist sehr banal!
Und hat Gewissen keine Gründe, ist das Unmoral.

Ich trinke auf den Kummer, er macht erfinderisch.
Da wird sogar ein Dummer ganz plötzlich kämpferisch.
Wie langweilig ist es im Himmel, kein Leid und keine Freud'.
Auf alles legt sich grüner Schimmel, ewig gleiches Heut'.

Will im Nirwana nicht versinken, weil ich der Teufel bin.
Aufs Paradies zu trinken macht wirklich keinen Sinn.
Keine Neugier, keinen Fortschritt, oh wie ist das fad!
Keine Sehnsucht, keine Zuflucht. Es ist jammerschad!

Ich trinke auf die Hölle, ich trinke auf die Welt.
Und nochmal auf die Hölle, weil sie mir so gefällt.
Hier bin ich mein eigener Herr, hier brauch' ich nicht zu dienen.
Im Keller und auf Parterre gesell' ich mich zu Ihnen

– er deutet auf Leute im Publikum –
... und zu Ihnen, meine Dame ... und zu Ihnen mein Herr...
und zu Ihnen und ganz speziell zu ... Dir!

Lucio verbeugt sich, hinkt zurück zu seinem Platz,
setzt sich und trinkt triumphierend einen großen Schluck aus seinem Glas (Ende des Einfrierens).
Die anderen prosten ihm zu.

Capitanakommt hinter dem Tresen hervor und zückt einen Bestellblock. Was darf ich bringen, Evaldo?
Evaldo Ein Glas Pluto-Cocktail und eine Schachtel Diavoli Light, bitte.
Capitana geht, um das Gewünschte zu bringen.
GesinaErst wird abgerechnet. Oder meinst du, du kannst mein Geld verprassen?
Evaldo zählt ihr 100 Euro auf den Tisch. Du könntest etwas netter zu mir sein, Liebste.
Lucio Er hat recht, Gesina.
Gesina äfft ihn nach: Er hat recht, Gesina. Sie macht eine abfällige Handbewegung: Da hast du! Sie gibt Evaldo einen Zwanziger.
Capitanabringt auf einem Tablett einen blutroten Cocktail und Zigaretten. Was heckt ihr denn eigentlich aus?
GesinaEine Pokerrunde, vielleicht ... Sie sieht in die Runde, provozierend: Das gehört zu meinem Image: Pokern! Und außerdem gehört es zu meinem Image, zu gewinnen!
CapitanaDu willst jemanden ausnehmen! Lauernd: Wenn du das schon musst, dann lass ihm 100 Euro, denn ich möchte ihm mein Medizinfläschchen verkaufen. Versprochen? Sonst lass ich dich gnadenlos auffliegen.
LucioTja, Capitana, du möchtest gern etwas loswerden, nicht wahr? Beiseite, zum Publikum: Sie leiden zu sehen, war mir stets ein Genuss, sogar ein Lebenselixier. Ich kann nichts dafür, es ist meine "nature" – französisch ausgesprochen, damit es sich auf "dafür" reimt. – Sei's drum. Zu Capitana: Ich wünsche dir von Herzen, dass du dich deiner Last entledigen kannst. Beiseite, zum Publikum: Ich habe nichts dagegen. Sie arbeitet mir ja in die Hände.
Capitana wirkt geknickt, hilflos, sprachlos: Du ... meinst das ernst?
Gesina Fangt ihr wieder mit eurer mystischen Spinnerei an, mit eurem Flaschenteufel? Na meinetwegen. Ich lasse der Fremden 100 Euro und sonst gar nichts. Das ist mir der Spaß wert. Aber, Capitana: Ich wette mit dir um 100 Euro, dass auch unser heutiges Opfer nicht dumm genug ist, dir deinen Flaschenteufel-Faschingsscherz abzukaufen.
Capitana 100? Meinethalben wettest du 100. Ich setze 1000 dagegen.
GesinaTop, die Wette gilt. Wenn ich nur wüsste, wieso du so unendlich freigiebig sein kannst: Deine Kaschemme wirft doch wirklich nicht die Bohne ab. Und doch hast du immer die Taschen voller Geld. 
Capitanalapidar: Würdest du mein Fläschchen kaufen, wüsstest du, warum.
Luciobeiseite: Die braucht es nicht zu kaufen, deren Seele kriege ich auch so. Er steht während des folgenden Gesprächs auf, hinkt zur Jukebox, wirft ein paar Münzen ein. Es erklingt sehr dezent eine Instrumentalvariation seines Liedes „Ich trinke auf das Böse" (Stalker Blues – CD: Nr. 8). Der Song wird während der gesamten folgenden Szene gespielt. Lucio begibt sich zurück zu seinem Platz.
GesinaAch hör schon auf mit dem Quatsch. Ich kenne eine Medizin, auf die ich mich verlassen kann: – mit Nachdruck: – Gesinas Pokerkunst. Hierher, Adamo! Mitspielen. Du weißt die Zeichen noch, die du mir geben musst? Und setz dich so, dass ich in deiner Brille deine Karten sehen kann.
Adamonickt stumm und setzt sich zu den anderen mit an den Tisch.
GesinaÄh, Lucio: Spielst du auch mit?
Luciobeiseite: Mir die Seele, dir das Geld. Zu Gesina: Ich und Kartenspielen! Er winkt ab. Ich berausche mich lieber am Zusehen.
Evaldosieht zur Kneipentür. Still, sie kommt! Er huscht mit seinem Getränk zum Tresen und setzt sich auf einen Barhocker.
Capitananimmt ihren Platz hinter dem Tresen wieder ein und poliert Gläser.
Riccardas Glück

5. Szene
Im Schwarzen Reiter

Lucio Fèrrowie vorher
Wampiwie vorher
Capitanawie vorher
Adamowie vorher
Gesina wie vorher
Evaldo wie vorher
Riccarda wie vorher

Riccarda betritt das Lokal. Gesina und Evaldo tun so, als würden sie sich nicht kennen.

EvaldoHallo Riccarda! Da bist du endlich. Setz dich zu mir.
RiccardaHallo Evaldo! Beiläufig: Die feinste Kneipe hast du uns ja nicht ausgesucht.
EvaldoDie feinste nicht, aber du wirst sehen: Du langweilst dich keine Sekunde und verlässt den Schwarzen Reiter als ganz anderer Mensch. Glaub mir!
CapitanaWas darf es sein, der Herr?
EvaldoEin Fläschchen Prosecco? Riccarda?
Riccarda Ich habe nichts dagegen, Liebster.
Capitana bringt eine Flasche und zwei Gläser, entkorkt sie mit lautem Knall und schenkt ein.
Luciotut so, als habe er Riccarda nicht bemerkt. Er fährt nach dem Korkenknall herum: Ah, Frau Riccarda! Nun, habe ich zu viel versprochen?
RiccardaWie meinen? Ach so! Nein, der Evaldo ist Gold wert!
Gesinakann sich ein kurzes hämisches Lachen nicht verkneifen. Sie zieht ein Päckchen Karten aus der Jackentasche, packt es aus dem knisternden Zellophan und zeigt ihre Fingerfertigkeit anhand von ein paar Tricks.
LucioRiccarda, meine Freundin Gesina und mein Freund Adamo wollten gerade ein Kartenspiel beginnen. Aber die Runde würde zu dritt wesentlich mehr Spaß machen. Hätten Sie nicht Lust, den beiden Gesellschaft zu leisten?
RiccardaWarum spielen Sie nicht mit?
LucioDiese Art von Spiel ist mit zuwider. Geheimnisvoll: Ich bevorzuge das Spiel mit der menschlichen Seele ...
RiccardaIch weiß nicht, ich wollte eigentlich mit Evaldo ...
Evaldofälltihr ins Wort: Ein Kartenspiel? Das wird bestimmt spannend, Liebste. Spiel nur, ich schaue gerne zu.
RiccardaIch weiß nicht ...
LucioSo ist es recht! Wenn Sie nicht wollen – wird Sie niemand zwingen. Am wenigsten ich. Sie wissen, man sagt: Karten sind des Teufels. Es soll später nicht heißen, ich hätte Sie verführt. Zu den anderen: Heute nachmittag hat sie sich allerdings beklagt, dass ihr langweilig sei.
GesinaDas beste Mittel gegen Langeweile ist ein Spielchen. Sie würden uns eine große Freude bereiten. Stimmt's, Adamo?
Adamonickt.
LucioUnd vielleicht auch Capitana. Stimmt's, Capitana?
CapitanaLacht kurz nervös und böse. Eine große Freude. Beiseite: möglicherweise.
RiccardaAlso gut. Was spielen wir und wie hoch ist der Einsatz?
GesinaPoker, Minimum 50 Euro.
Riccarda Das lasse ich mir eingehen. Aber Vorsicht, ich spiele sehr gut: Mein Vater zwang mich seit meiner Kindheit, ihm zu helfen, seine Saufkumpanen abzuzocken. Sie nimmt am Tisch Platz, holt einen Glückspfennig aus der Kostümtasche, den sie demonstrativ küsst und dann auf den Tisch an ihre Seite legt
Gesina Mischt kunstvoll die Karten.

Gesina singt, während sie mischt, zu Lucios Melodie, die immer noch von der Jukebox kommt

Gesinas Lied: Das Pik bricht eine Lanze (CD: Nr. 9)
Sie zeigt in der ersten Strophe die jeweilige Kartenfarbe

Das Pik bricht eine Lanze für jede Hypothek
und wenn ich mich verfranze, markiert das Kreuz den Weg.
Das Herz steht für das Bluten und für die Antriebskraft
und Karo ist der Grundriss für jede Einzelhaft.

Am Anfang wird gewinnen, wer doch zuletzt verliert.
Das Glück wird ihm zerrinnen, das Pech wird ihm addiert.
Zum Schluss wird einer arm sein, doch an Erfahrung reich,
beginnt mit roten Wangen und endet schreckensbleich
.

Gesinalässt Riccarda abheben und verteilt die Karten.
LucioEvaldo, setz dich zu uns, mein Junge, und bringe Glück!
EvaldoIn Ordnung.

Lucio

Das ist Gesina. Mit unüberhörbarer Ironie in der Stimme: Auch genannt die Barmherzige, die Wohltäterin, die Menschenfreundin. Gesina, hier ist Evaldo. Das Schmuckstück Venedigs, der Glücksbringer.
GesinaVerächtlic:h Soso. Als dann! Bringe uns Glück, du Schöner.
Evaldo Wem von euch? Ich habe das Pech, alle Menschen lieb haben zu müssen, drum kann ich keinem von euch ein Glück bringen. Aber ich sehe gerne zu. Er nimmt zwischen Gesina und Riccarda Platz.

Die Jukeboxmusik verklingt

Kurzer Vorhang, Instrumentalmusik: Vorahnungen (CD: Nr. 10)

Riccardas Glück

6. Szene
Im Schwarzen Reiter

Riccarda sieht ziemlich verwüstet aus, ihr Haar ist zerwühlt, sie hat sich ihres Kostümoberteils entledigt und ihre Bluse aufgeknöpft, sie sitzt am Tisch, hintüber gesunken, betrunken wirkend; sie trinkt Prosecco aus der Flasche.
Capitanawie vorher
Wampiwie vorher

Die anderen Gäste sind verschwunden. Wampi ist am Tresen eingeschlafen.

Capitanaräumt den Tisch ab, leere Flaschen, volle Aschenbecher, schmutzige, halb leere Gläser. Sie rüttelt Wampi, der aber nicht reagiert, höchstens etwas Unverständliches brummelt. Riccarda, Riccarda. Das hat sich wohl nicht so sehr gelohnt!
Riccardain höchster Verzweiflung: Gelohnt? Ich habe alles – Alles! - verloren. 500.000 Euro. Meine Erbschaft. Ich hätte keine Schecks ausstellen sollen, keine Schuldscheine, keine Wechsel. Ich hätte aufhören sollen, ganz am Anfang, als ich die Glückssträhne hatte. Was mache ich nur, ich kann nicht einmal mehr meine Hotelrechnung bezahlen.
Capitanawäscht und poliert Gläser: Und Ihre Zeche?

Riccarda

Gesina, dieses Weibstück, hat mir wie zum Hohn einen Schein zugesteckt. Welch eine barmherzige Samariterin. Ich besitze also derzeit 100 Euro und einen Glückspfennig, der kein Glück bringt. Und von wegen Pech im Spiel, Glück in der Liebe: Evaldo ist mit ihr gegangen. Sie macht seine Stimme, seinen Tonfall nach: Wir wollen noch was aufreißen! Das sagt er zu mir. Sie trinkt aus der Flasche. Lucio ist fein raus, das Zusehen hat ihm, scheint's, höllisch Spaß gemacht. Sie seufzt.
CapitanaDa können Sie recht haben! Mit Nachdruck: Vorsicht mit Lucio. Er ist gefährlich! Er gewinnt immer, auch wenn er nicht mitspielt.
Riccardazerstreut: Was? ... Wieviel kosten die drei Flaschen Prosecco?
Capitana:Keine Sorge, die hat Evaldo bezahlt.
Riccarda:Der Gute!
Capitana:lacht zynisch. Ja, er ist ein Herzchen. Sie nähert sich dem Tisch und setzt sich zu Riccarda. Aber zu etwas anderem, Riccarda: vielleicht kann ich Ihnen helfen ...
Riccarda:Wie das?
Capitana:Lassen Sie mich eine Geschichte erzählen, hören Sie mir einfach nur zu ... und erklären Sie mich nicht gleich für verrückt. Sollten Sie das schaffen – was ich allerdings bezweifle – könnten Sie ihrem Schlamassel entrinnen; – beiseite – vorerst …
RiccardaIch höre, ist eh alles egal.
Capitanageheimnisvollzu einer mystischen sehr leisen Instrumentalmusik aus der Jukebox, die bis zur Ende der Szene andauert (CD: Nr. 11). In meinem Besitz befindet sich ein Medizinfläschchen. Das habe ich vor einiger Zeit jemandem für billiges Geld abgekauft. Damals befand ich mich finanziell in einer ähnlich schlimmen Lage wie Sie jetzt.
Riccardaeher gelangweilt: Und gegen welche Krankheit hilft diese Medizin?
CapitanaGegen Geldnöte aller Art.
RiccardaWie soll das gehen? Sie wollen mir einen Bären aufbinden. Wer den Schaden hat, braucht sich um den Spott nicht zu kümmern, nicht wahr? 
CapitanaHören Sie doch erst einmal zu! Dieses Fläschchen beinhaltet einen Pakt: Es verschafft Ihnen so viel Geld, wie Sie sich nur wünschen können, Sie müssen es aber – wollen Sie es einmal loswerden – billiger verkaufen, als Sie es erstanden haben. Wenn Sie das nicht schaffen vor Ihrem Tod, ist Ihre Seele unrettbar verloren.
RiccardaWer wollte denn so etwas loswerden!? Und wenn: dann werfen Sie es doch einfach weg!
CapitanaWenn das ginge! Werfen Sie es vom höchsten Berg ins Meer ... und Sie haben es im nächsten Moment wieder in der Tasche.
RiccardaHübsches Märchen. Aber erzählen Sie nur weiter.
CapitanaNatürlich kann man es jemandem heimlich andrehen: so, dass er nicht merkt, was für ein gefährliches Ding man ihm da unterschiebt. Das habe ich ein paarmal getan, habe es aber immer auf ähnliche Weise zurückbekommen, das letzte Mal für billige einhundert und einen Euro.
RiccardaUnd nun möchten Sie es mir für 100 Euro andrehen, vermutlich!
CapitanaNicht andrehen. Ehrlich verkaufen will ich es Ihnen, damit es nicht auf mich zurückkommt.
RiccardaUnd wieso wollen Sie in Zukunft auf die Vorteile der unerschöpflichen Geldquelle verzichten? Beiseite, zum Publikum: ich spiele dieses dumme Gedankenspiel schon noch ein bisschen mit: Es kann mich trotz meines Zustands sogar fast erheitern.
CapitanaWegen des blanken Entsetzens vor der Ungewissheit des Todes, werte Dame.
RiccardaUnd wieso betreiben Sie eine Kneipe? Wenn man so reich ist, wie Sie behaupten, zu sein, braucht man doch nicht zu arbeiten!
CapitanaIch muss viele und immer wieder neue Menschen um mich haben, um jemanden zu finden, der meine Flasche kauft.
RiccardaDas ist ein Argument. Aber ich müsste schön blöd sein, die Katze im Sack zu kaufen! Leihen Sie mir dieses Wunderding, damit ich es probieren kann.
CapitanaWie sollte das gehen? Es gehorcht ja nur seinem Besitzer!
RiccardaDas ist einzusehen. Nach einer kurzen Pause: Trinken Sie mit mir, Capitana? Was verlangen Sie für eine Flasche Prosecco?
Capitana40 Euro.
RiccardaBringen Sie uns noch eine. Ich zahl 50 dafür, denn Sie haben sich ein Trinkgeld verdient, indem Sie mich köstlich unterhielten … – in einem Ton, der die ganze Geschichte ins Lächerliche zieht: Wenn Sie jedoch zu stolz sind, ein Trinkgeld anzunehmen, – voller Hohn – da Sie ja unermesslich reich sein müssen, so geben Sie mir für die übrigen 10 Euro Ihr magisches Medizinding. 
Capitanawährend sie eine neue Flasche entkorkt: Für 10 Euro wollen Sie es mir abkaufen! Das ist der reine Wahnsinn. Ich habe den Preis so hoch wie möglich gesetzt, damit Sie eine reelle Chance haben, das Ding einmal wieder loszuwerden … und Sie wollen mir ein Trinkgeld dafür bieten! Wissen Sie nicht, wie einfach es die finstere Macht mit Ihnen haben wird?
Riccardalachend: Die finstere Macht! Wir sind, wie es scheint, im Mittelalter. Wieder ernst: Wenn Sie die Medizin wirklich loswerden wollen, warum feilschen Sie dann? Das zeigt mir, dass Ihre Geschichte hübsch ausgedacht, aber doch nur ein Märchen ist.
CapitanaTrinken wir also auf unser Geschäft, Unglückliche. Betrachten Sie es als abgeschlossen. Sie stößt mit Riccarda an und gibt ihr das Fläschchen. Die Musik verklingt. Sie werden verstehen, dass ich meinen Laden gleich dicht mache und mich verziehe. Mich hält hier nichts mehr. Leben Sie wohl! Und ... ach ja, hüten Sie sich vor Straßenräubern und Wegelagerern.
Riccardaängstlich: Würden Sie mich nicht bis zum Hotel begleiten?
CapitanaTut mir leid! Aber Sie haben mich nicht verstanden: Ich will so weit wie möglich weg von hier! Nach Neuseeland am besten! Nur, damit mich die Flasche nicht einholt. Capitana legt ihre Schürze ab, bläst die Kerzen aus, rückt die Stühle zurecht etc. Sie nimmt von ihrer Kneipe Abschied.
RiccardaMuss ich eben alleine …
Wampiplötzlich erwachend Habe ich schon alles bezahlt?
CapitanaIst schon in Ordnung, Wampi!
Wampiwankt lallend hinaus: Habe ich schon alles getrunken, was ich bezahlt habe …
RiccardaVielleicht könnte Wampi mich begleiten?
Capitanawinkt ab. Der schläft draußen unterm Baum bestimmt schon den Schlaf der Gerechten. Sie zieht den Stecker aus der Jukebox.
Riccardafolgt Wampi, mit unsicherem Schritt Dann … Leben Sie also wohl, Capitana.

– Vorhang –

Capitanas Lied: Endlich bin ich frei! (CD: Nr. 12)
Sie geht singend durchs Publikum nach draußen ab. Ihr Gesang verhallt im Foyer.
Die Musik erklingt noch ein wenig länger. Venezianische Maskenträger lassen das Publikum wissen, dass Pause ist.

Endlich bin ich frei. Endlich ist's vorbei mit der Teufelei.
Lucio, du kriegst mich nicht, da bin ich voller Zuversicht.
Du kannst mich nicht mehr fangen,
Ich brauch' nicht mehr zu bangen.
Es ist vorbei! Es ist vorbei! Vorbei.
Endlich bin ich frei. Endlich ist's vorbei mit der Hexerei,
Mit der Gauklerei, mit der Fopperei, mit der Ketzerei,
Mit der Kumpanei, mit der Lumperei, mit der Quälerei,
Es ist vorbei! Es ist vorbei! Vorbei.

(nach Bedarf wiederholen)



– Pause –

Riccardas Glück

2. Akt

7. Szene
Dunkle Gasse

Venezianische Kulisse wie in der 1. Szene, im Hintergrund ein Haus.

Instrumentalmusik: Riccardas Elend (CD: Nr. 13)
Musik verklingt. Vorhang auf.

Riccarda hat ihre Kleidung halbwegs geordnet.
vier Straßenräuberim Rapper-Outfit (Klamotten oversized, Mützen; zwei tragen den Schirm hinten, einer auf der Seite, der Anführer trägt die Mütze richtig herum); vermummt.
Luciowie vorher.

Musik. Riccarda schwankt bedenklich. Sie hält ein Fläschchen in der Hand
und singt wie in einem Selbstgespräch vor sich hin.
Riccardas Elend: Die Nacht, schwarz wie ein Grab (CD: Nr. 14)

Fünf Scheine, eine Flasche und die Rechnung vom Hotel.
Sonst nichts in meiner Tasche. Mein Glück verließ mich schnell
und das einzige was ich noch hab, ist die Nacht, schwarz wie ein Grab.

Wirft das Fläschchen im hohen Bogen von sich.

Gesprochen:
Nicht mal ein Schnaps war da drin. Leer war es. 10 Euro zum Fenster hinaus.
Egal, die hätten mich auch nicht weiter gebracht.

Gesungen:
Blind sieht man’s ohne Brillen: Man nahm mich böse auf den Arm.
Man nahm mich aus beim Spielen und niemand schlug Alarm.
Und das einzige was ich noch hab, ist die Nacht, schwarz wie ein Grab.

Ich bin ein armes Schwein, ein dummes Luder ohne Ziel,
ein Schiff ohne Motor und ohne Wasser unterm Kiel
und das einzige was ich noch hab, ist die Nacht, schwarz wie ein Grab.

Das Lied geht über in Rapmusik "Beweg dich langsam, denk schnell" (CD: Nr. 15),
die während der gesamten restlichen Szene gespielt wird.
Die Rapper tanzen auf die Bühne und dann um Riccarda herum.

1. RapperSchau dir die mal an, Mann, das ist der Wahn, dass die noch stehen kann, in ihrem Spießertran und überhaupt hat die Klamotten an zum Kotzen, aber ich will nicht motzen, denn die scheint vor Geld zu strotzen. Mit solchen feinen Damen machen wir gerne ein Examen. Jetzt wird sie jedenfalls gleich blöd glotzen, wenn wir ihr das Geld abtrotzen. Dann braucht sie nicht mehr protzen.
2 – 4. RapperHey Frau von Welt, komm gib uns schnell dein Geld, komm und tu die Knete raus, weil sonst ist es mit dir aus. Hey … wird wiederholt.

Riccarda

Was wollt ihr von mir, ich habe nichts!
alle Rapperbeginnen Riccarda zu filzen, finden fünf Geldscheine … und das Fläschchen.
1. RapperWasn dasn? Ey Jungs, die will uns verarschen, die feine Dame. Er zerknüllt die Geldscheine und wirft sie Riccarda ins Gesicht, öffnet das Fläschchen, riecht dran, und wirft es in weitem Bogen weg
Riccardasteckt ängstlich und betrunken ihre Hände in die Kostümtaschen. Verwundert bis entsetzt: Was ist das für ein Fläschchen!?
1. Rapperäfft sie nach: Isn das fürn Fläschchen. Ey, die Pennerin weiß nicht, was sie in den Taschen hat. Los du Schlampe, wo is die Kohle?
Riccarda:holt fassungslos das Fläschchen aus der Schoßtasche. Das gibt es doch nicht!
4. RapperUnd? Kohle?
2. RapperLass gut sein, die hat halt nix.
3. RapperWie „hat halt nix“: Siehst doch, dass die was hat. Die hat Matsch am Paddel, hat die.
Riccardabeiseite: ich wünsche mir 1.000 Euro. Greift in ihre Tasche und fördert ein Bündel Geldscheine ans Licht. Freudig und entsetzt: Oh nein, Capitana hat recht!
1. RapperWas soll das? Hier hört dich keine Capitana. Her damit. Er entreißt ihr das Bündel. Los, du hast noch mehr! Streng dich an.
Riccardagreift in die Taschen, holt ein großes Bündel Geldscheine heraus, wirft sie in die Luft. Hier habt ihr!
2. - 4. Rapperbeginnen aufzusammeln.
1. RapperDas war brav. Und zur Belohnung bekommst du von uns ein Kind! Was sag ich ... Eines? Vier! Zu den anderen Ihr wollt ihr doch auch ein Kind machen!?
2. - 4. Rapperergreifen Riccarda johlend, halten sie fest und beginnen, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen.
Lucioerscheint unerbittlich und übermächtig in einem Gewitter aus rotem Licht und Nebel. Lasst sie! Sie gehört mir!
2. - 4. Rappererstarren, lassen Riccarda los und flüchten.
1. Rapperzieht ein Messer und sticht Riccarda nieder. Vielen Dank, die Dame. Und das nächste Mal: etwas höflicher! Flüchtet. Musik verklingt.

– Vorhang –

Instrumentalmusik: Totentanz (CD:Nr.14)
Maskierte Tänzer

Riccardas Glück

8. Szene
Evaldos Zimmer

Riccardain zerschlissener, blutgetränkter Unterwäsche.
Lucio wie vorher.
Evaldowie vorher.


Riccarda liegt im Bett, sie trägt einen notdürftigen, mit Blut getränkten Verband um die Brust.
Sie fiebert. In der Hand hält sie Capitanas Fläschchen.

RiccardaLiebes Fläschchen, ich wünsche mir, dass ich gesund werde. Liebes Fläschchen, ich wünsche mir, dass du mir außer Geld noch etwas anderes verschaffen kannst. Nichts passiert. Sie stöhnt, lässt ihre Hand mit dem Fläschchen sinken und fällt in Schlaf. Das Licht verändert sich, Nebel wallt, alptraumhafte Instrumentalmusik erklingt: Dies Irae (CD: Nr. 17), Riccarda setzt sich auf, als sei sie gesund: das Publikum muss merken, dass sie einen Traum hat.
Luciobetritt das Zimmer. Sieht äußerst diabolisch aus, als er zu Riccardas Bett hinkt. Schläfst du tief, Riccarda? Gut, so kann ich getrost in deinem Traum erscheinen. Glaubst du nun, was Capitana dir erzählt hat?

Riccarda

mit Grabesstimme: Ich glaube es.
LucioUnd dann weißt du auch, dass du unermesslich reich bist?
Riccardamit Grabesstimme: Ich weiß es.
LucioUnd dass du im Sterben liegst und dir dein ganzer Reichtum nichts hilft?
Riccardaentsetzt: Nein!
LucioWeißt du denn, wer ich bin?
RiccardaLucio Fèrro, zu deutsch Eisen-Lucki.
LucioJa! Ich habe dir das Leben gerettet. Aber nur, um mich an deinem Sterben zu berauschen. Eisen-Lucki ist übrigens nur die wörtliche Übersetzung meines Namens. In Wirklichkeit bin ich der Lichtbringer, der Morgenstern. Dämmert es dir?
RiccardaLucio Fèrro? Lichtbringer? Luzifer? Das ist nur ein Traum hier.
LucioDu hast recht, nur ein Traum. Und deshalb musst du dir die Frage gefallen lassen: Wo lag der Sinn deines Lebens? Was war deine Aufgabe? Hast du sie gelöst? Diese Fragen sind nur ein Vorgeschmack endlos vieler ähnlicher Fragen, die du dir selber stellen musst im Moment deines Sterbens: Du sollst wissen, dass der Vorgang des Sterbens für einen Menschen unendlich erscheinen kann, auch wenn Außenstehende ihn nur als Sekunde empfinden: für dich dauert er von Ewigkeit zu Ewigkeit ... und das ist mir ein Genuss. Er verschwindet in einem Wirbel aus Rauch oder Nebel. Die Musik verklingt.
Riccardasinkt aufs Bett zurück, wacht auf und schreit vor Entsetzen.
Evaldostürzt ins Zimmer. Du bist aufgewacht! Was ist passiert?
RiccardaIch weiß nicht, was passiert ist. Ich kann mich nicht erinnern – ich habe den Verstand verloren.
EvaldoDu bist im Morgengrauen in der Gasse hinter meiner Wohnung überfallen worden. Lucio hat dich gerettet und blutüberströmt zu mir heraufgebracht. Ich habe dich notdürftig verbunden. Aber du brauchst unbedingt einen Arzt. Hast du Geld?
Riccardaumklammert ihr Fläschchen, sieht es einen kurzen Moment an und bewegt dazu ihre Lippen. Mit schwacher Stimme: Sieh unter dem Kopfkissen nach, Evaldo. Nimm dir, so viel du willst.
Evaldofindet ein riesiges Bündel Geldscheine. Ich hole den besten Mediziner der Stadt, halte aus, ich bin bald zurück.

– Vorhang –

Instrumentalmusik:
Dies Irae (CD: Nr. 18)
Maskierte zelebrieren einen wilden Teufelstanz.

Riccardas Glück

9. Szene
Evaldos Zimmer

Riccardawie vorher
Evaldowie vorher
Leviathne van Helsingmit Brille und Arzttasche, vornehm gekleidet.


EvaldoHier bin ich wieder, Riccarda. In Kürze kommt Dr. van Helsing, das ist eine Medizinerin, was sag ich, eine Heilpraktikerin, eine Esotherikerin, eine Kabbalistin, eine Schamanin! Du wirst sehen, sie wird dich mit einem Fingerschnippen auf die Beine bringen. Sie ist die Beste!
Riccardaschwach: Hast du ihr schon einen Vorschuss gegeben?
EvaldoIch habe sie selbst nicht getroffen. Und außerdem: Vorschuss? Von welchem Geld, meine Arme? Soviel ich weiß, hast du doch keinen müden Euro mehr!
RiccardaAber ich habe dir doch vorhin … du hast dir doch vorhin … unter dem Kopfkissen …
EvaldoDu phantasierst. Das ist das Wundfieber!
Riccardasieht ihr Fläschchen an und murmelt kraftlos und unverständlich einen Wunsch, greift dann in einem unbemerkten Augenblick heimlich unter ihr Kissen, zieht ein Bündel Geldscheine hervor, steckt sie aber sogleich wieder zurück.
van Helsingbetritt das Zimmer. Zu Evaldo: Guten Tag. Mein Name ist van Helsing, Leviathne van Helsing. Ich wurde hierher bestellt … Ah, ich sehe schon. Sie wendet sich an Riccarda: Hier ist ja die Patientin. Sie haben einen lebensgefährlichen Blutverlust erlitten? Nun, glücklicherweise ist Blut die Spezialität einer ganzen Dynastie von van Helsings. Ein Schulmediziner würde eine Bluttransfusion anraten. Aber Sie werden sehen, es geht viel eleganter.

Van Helsings Lied: Blut, Blut, Blut (CD: Nr. 19)

Blut ist das Lebenselixier
für Fledermäuse und Vampir,
für Stechmücken und Blutegel.
Es duftet süß und schmeckt nach mir.
Es leuchtet wie das Morgenrot,
wird schwarz und krustig nach dem Tod.
Blut, Blut, Blut tut manchem Wesen gut.

Geld ist das Lebenselixier
für Börsianer voller Gier,
Kredithaie und Ausbeuter.
Es stinkt nicht und gefällt auch dir,
ist meistens schimmelgrün und fahl
verliert an Wert, das ist fatal.
Geld, Geld, Geld regiert … ihr wisst schon, gelt?

1.Strophe wiederholen.

van Helsingöffnet ihre Tasche, wirft ein fluoreszierendes Pulver in die Luft und murmelt unverständliche Worte: sator arepo tenet opera rotas! Zu Riccarda: Das wird die Wunde in den nächsten beiden Stunden verschließen und verheilen lassen. Sie entnimmt ihrer Tasche eine Phiole, die so ähnlich wie Riccardas Fläschchen aussieht. Trinken Sie zu jeder vollen Stunde einen kleinen Schluck, so werden Sie bereits morgen Ihren Blutverlust kompensiert haben. Das Honorar …

Riccarda

müde, fällt ihr ins Wort: Ich kann Ihnen kein Geld geben, ich wurde ja ausgeraubt. Aber ich besitze ein Fläschchen von großer mystischer Kraft, das Sie bestimmt interessiert. Ich würde es Ihnen überlassen, wenn Sie mir eine Rechnung über neun Euro ausschreiben würden. Jämmerlich flehend: Bitte! Hält van Helsing zaghaft das Fläschchen hin.
van HelsingEin verwunderliches Ansinnen. Sie haben Fieber! Und … wo ist der Pferdefuß? Worin besteht die Mystik?
RiccardaMit zitternder Stimme: Es gibt keinen Pferdefuß! Und das Geheimnis des Fläschchens finden Sie leicht heraus, Sie als Fachfrau!
van HelsingHören Sie: ich kaufe Ihnen das Fläschchen für neun Euro ab, denn ich sammle solche Dinge. Mein Honorar in Höhe von 1.000 Euro zahlen Sie irgendwann, wenn Sie auf den Beinen sind und Geld verdienen können. Immerhin – das lassen Sie sich gesagt sein – verdanken Sie mir Ihr Leben.

– Vorhang –

Instrumentalversion von Van Helsings „Blut, Blut, Blut“ (CD: Nr. 20)
Vampire und Nachtmahre erschrecken im abgedunkelten Zuschauerraum das Publikum

Riccardas Glück

10. Szene
van Helsings Labor

Leviathne van Helsing wie vorher
Lucio Fèrrowie vorher


Kulisse wie dritte Szene: das Gläserregal ist nun mit Reagenzgläsern,
Dosen, Bunsenbrennern und allerhand skurrilem Zeug gefüllt,
der Tresen fungiert diesmal als Arbeitstisch, der Tisch mit fünf Stühlen kann bleiben,
schummerige Beleuchtung, vielleicht Kerzen auf Tresen und Tisch,
auf letzterem ist ein längst begonnenes Schachspiel aufgebaut
.

van Helsingführt Selbstgespräche. Sie hält Riccardas Fläschchen gegen den Schein einer Kerze: Das habe ich mir gedacht - ein Schwarzgaukler, ein Galgenmännlein, seit dem Mittelalter bekannt, zuletzt in der Romantik erwähnt bei – äh … Sie blättert in einem dicken Buch: Ah ja, hier! Friedrich de la Motte Fouqué. Sie liest eine Weile, dann murmelt sie eine Beschwörungsformel: A u na tingana Famba b’sikwin.

Lucio

erscheint in einem Wirbel aus Rauch oder  Nebel. Es soll so wirken, als ob er das gezwungenermaßen täte. Er singt trotzdem triumphierend:

Lucios Hymne: Am achten Tag (CD: Nr. 21)

Der Herr – so heißt's – erschafft die Welt in ganzen sechs Tagen
und ruht sich dann am siebten aus.
Er räkelt sich wohlig, und voll Behagen
spendet er sich selbst Applaus.

Doch am achten Tage kommt das Böse
und fügt dem Werk sein Gegenteil hinzu.
Es macht das ganz ohne Show und ohne Getöse,
denn gutes Gift wirkt leise und im Nu.

Der Herr ist überrascht, doch findet die Ausrede:
Er habe auch das Gegenteil gewollt!
Das Böse lacht da nur wie ein gottloser Schwede.
Da hat der Herr wohl mächtig gegrollt.

So hat der Herr das Böse aus dem Paradies vertrieben
und seine guten Menschen dazu.
Und ihm ist nichts als eine Niederlage geblieben,
Doch die ist für ihn tabu.

Ein Herr, der‘s nötig hat, seine Geschöpfe zu strafen,
hat sich seine Schöpfung verbaut.
Er schafft den Unterschied zwischen Herrschern und Sklaven
und schon ist das Gute versaut.

LucioLeaviathne! Es scheint, als hätte ich dich überlistet. Du brauchst jetzt nur noch zu sterben ... und deine Seele gehört mir. Leider kann ich aus eigener Kraft nicht morden. Aber anstiften, das gelingt mir stets.
van HelsingFreue Dich nicht zu früh, alter Freund. Ein Spiel mit dir war mir immer ein Vergnügen, denn meistens habe ja ich gewonnen.
LucioLeider! Aber dennoch nur meistens. Welcher unselige Geist hat dich eigentlich wissen lassen, dass das Böse genau so viel wert ist wie das Gute? Das macht dich nahezu unangreifbar!
van HelsingLucio, weißt du, diese Erkenntnis ist mittlerweile landläufig. Und sie wird über kurz oder lang solchen Firlefanz und Mummenschanz wie Aberglauben und Religion – welcher Art auch immer – endgültig zur Strecke bringen. Und das, mein Freund, wird auch dir die Lebensgrundlage entziehen: Das Wissen wird der Polarität der Natur ihr eigenes Gegenteil hinzufügen!
LucioPapperlapapp! Das verstehe ich nicht! Er windet sich in psychischen Schmerzen: Hör auf, du Schlange!
van HelsingIst ja schon gut, Lucio, mein Freund. Ich schlage dir ein Spiel vor: sollte ich bis morgen Mittag überleben, wovon ich zweifelsfrei ausgehe – streut ein magisches Pulver über sich – kaufst du mir das Fläschchen für fünf Euro ab. Mach dann damit, was du willst.
Luciozähneknirschend: Und wenn ich es nicht kaufe?
van Helsing… habe ich Mittel und Wege, das Galgenmännlein unschädlich zu machen, indem ich es beispielsweise einem Institut – etwa für Psi-Forschung – zu einer geringen Schutzgebühr und der Bedingung der Unverkäuflichkeit überlasse. Wessen Seele hättest du dann?
Luciostampft wütend auf: Keine! Warum tust du das nicht gleich?
van HelsingDer alte Widerstreit zwischen Gut und Böse amüsiert mich. Das müsstest du wissen.
LucioDu elendes Miststück. Da hast du fünf Euro, her mit der Flasche! Warum bis morgen warten? Ich gebe mich – für heute! – geschlagen.
van Helsinggibt ihm das Fläschchen mit diabolischem Gelächter: Du gibst auf vor dem Schach matt!? Mach’s gut Lucio!
LucioRevanche! Und eine Bitte: Ich möchte Riccarda eins auswischen. Stelle dich mit deiner Alchimie nicht zwischen uns. Könntest du das tun? Als ersten Zug eines neuen Spiels?
van HelsingMeinetwegen. Und jetzt pack dich.
LucioBin schon weg. Er verschwindet in einem Wirbel aus Rauch oder Nebel.

– Vorhang –

Instrumentalmusik: Lucios Tango (CD: Nr. 22)
Maskierte tanzen ein Schachspiel.

Riccardas Glück

11. Szene
Evaldos Zimmer

Evaldowie vorher
Lucio Fèrrowie vorher
Riccardaim Bett; schläft tief und regungslos, wirkt wie tot.


Evaldositzt am Tisch und zählt Geld. Was die Riccarda alles unter dem Kopfkissen hatte! Unglaublich. 10.500, 10.600 ... Ach, endlich komme ich von dieser Ratte, dieser Gesina, los. Ich kann ein neues Leben anfangen. Ich packe nur noch meine Koffer ... und schon bin ich weg. Spurlos verschwunden wie Capitana. Wohin die wohl ist? Und warum?
Lucioklopft an der Tür. Evaldo? Bist du da?
Evaldoversucht hastig, das Geld zu verstecken, ein Bündel Scheine fällt ihr jedoch auf den Boden, als Lucio eintritt.
LucioEvaldo, Evaldo! Wenn Gesina erfährt, dass du sie hintergehst …
EvaldoDu wirst mich doch nicht verraten? Bitte! Schmeichelnd: Du kannst alles von mir haben, wenn du mich nicht verrätst!
Luciotraurig: Ach, Evaldo. Den Kick, den ich brauche, kannst du mir mit all deinen Künsten nicht geben. Aber keine Angst. Ich kann Geheimnisse für mich behalten. Und außerdem mag ich dich. Ein Gefühl, das einem solchen wie mir eigentlich völlig fremd ist. Beiseite: Sollte da van Helsing ihre Finger im Spiel haben?
EvaldoMach dir nichts daraus. Ich weiß auch nicht, was das ist, jemanden zu mögen ... oder gar zu lieben. Aber danke. Du bist ein echter Freund.
LucioWas ist schon ein echter Freund … Doch vielleicht habe ich etwas für dich: wenn du genau tust, was ich von dir verlange, wird es von Vorteil für dich sein. Er zieht das Fläschchen aus seiner Tasche hervor. Kaufe mir dieses Fläschchen für vier Euro ab.
EvaldoWas …
Luciofällt ihm ins Wort: Frag nicht, was es damit auf sich hat. Bitte! Sieh lieber unter dem Kopfkissen von Riccarda nach.
Evaldoschleicht sich zum Bett und holt riesige Bündel Geldscheine hervor. Woher hat die bloß …
Lucioflüstert: Pst, leise. Und stelle bitte keine Fragen. Mit normaler Stimme: Nimm dir ruhig alles, was du findest, sie braucht es nicht so dringend. Steck ihr dafür drei Euro unters Kissen. Später zeigst du ihr dann das Fläschchen und sagst, dies sei die Medizin zur endgültigen Heilung; es koste drei Euro. Sie wird es kaufen, denn sie wird voller Todesangst sein. Dafür sorge ich.
Evaldozahlt aus seiner Geldbörse vier Euro an Lucio und steckt weitere drei unter Riccardas Kissen. Ich verstehe zwar den Sinn nicht, aber …
LucioLass gut sein, Evaldo. Schaffe lieber das Geld an einen sicheren Ort und komm in einer Stunde zurück. Ich habe einstweilen mit Riccarda etwas zu klären.
Evaldo Ciao; und danke.

– Vorhang –

Instrumentalmusik: Riccardas Blues (CD: Nr. 23))
während der beiden folgenden Szenen.

Riccardas Glück

12. Szene
Evaldos Zimmer

Lucio Fèrrowie vorher.
Riccardaim Bett.

Lucio schleicht um Riccardas Bettlager

LucioMit süßer Stimme: Riccarda, Liebste, wach auf, ich bin’s, dein Lucio. Ich habe schlechte Nachrichten für dich.
Riccardaschreckt hoch und murmelt dann mit schwacher Stimme: Apage Satanas.
Luciofährt zurück. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass mich das schreckt? Genau so gut könntest du beten. Das hätte ebenso wenig Sinn. Ich wollte dir beim Sterben zusehen, also tu dir keinen Zwang an.
RiccardaVan Helsings Medizin hilft doch … unsicher: Oder?
LucioDu hast van Helsing dein Fläschchen angedreht. Davon ist sie nicht gerade erbaut. Ich darf mit ihrem Einverständnis der Medizin die Wirkung entziehen. Er macht eine Handbewegung. Was ich hiermit getan habe.
RiccardaMir kann nichts passieren. Ich habe das Fläschchen nicht mehr.
LucioGut! Dann fang an zu sterben. Welche Gelegenheiten hast du verpasst, deinem Leben einen Sinn zu geben, wie viele Chancen hattest du dazu? Fang an, zähl auf!
RiccardaNein! Ich kann nicht … Ich hatte doch keine Chance seit dem Überfall!
LucioDein Pech … Dann lasse ich dich jetzt allein. Viel Vergnügen in deinen letzten Sekunden, will heißen, deinen letzten Unendlichkeiten. Mit höhnischem Nachdruck: Leb wohl, stirb wohl! … Halt. Eine Chance hast du noch. Du kannst beiseite: vorerst Evaldo retten. Ein guter Anfang!
RiccardaWie?
LucioDu wirst es merken!

– kurzer Vorhang –

Riccardas Glück

13. Szene
Evaldos Zimmer

Riccardawie vorher
Evaldowie vorher

 

Riccardaliegt zitternd und jammernd im Bett.
Evaldobetritt das Zimmer. Gute Güte, Riccarda, was ist? Das sieht mir sehr nach schwerem Rückfall aus.
RiccardaIch sterbe, Evaldo. Ach könnte ich die Zeit zurückdrehen!
EvaldoNa, na. Übrigens. Ich traf vorhin Lucio. Ich soll dir dieses Fläschchen für drei Euro verkaufen. Er lässt dir ausrichten, das sei deine einzige Chance, gesund zu werden.
Riccardavoll Entsetzen: Das Fläschchen. Nein! Zu sich in tiefster Verzweiflung: Was soll ich tun? Kaufe ich Evaldo das Fläschchen ab, habe ich Lucio am Hals. Kaufe ich es ihm nicht ab, sterbe ich ohne Erlösung. Lucio am Hals zu haben, erscheint mir das kleinere Übel: es verschiebt das Problem. Zu Evaldo: Unter meinem Kopfkissen ist Geld. Kannst du mir einen Schein wechseln, damit ich dir drei Euro geben kann?
Evaldoholt unter dem Kopfkissen drei Euro hervor. Was redest du, Riccarda? Du hattest noch genau drei Euro, nicht mehr und nicht weniger. Ich brauche dir nicht zu wechseln.
RiccardaEgal. Gib mir das Fläschchen. Ah. Schon fühle ich mich besser. Ich habe etwas Gutes getan. Danke, Evaldo.
EvaldoIch verstehe nicht das Geringste.

– kurzer Vorhang –

Riccardas Glück

14. Szene
Evaldos Zimmer

Riccardawie vorher
Evaldowie vorher
Gesinawie vorher

 

Gesinastürmt wütend ins Zimmer: Du Stricher lässt dich von dieser eingebildeten Kranken aushalten und bringst ihre Kohle auf die Seite, statt anzuschaffen. Was mache ich mit dir?
Evaldoflüchtet verängstigt in eine Zimmerecke.
Gesinabaut sich vor Evaldo auf: Zunächst einmal: ich habe dein Konto leer geräumt. Das ging einfach, denn der Bankdirektor steht – sagen wir einmal – in meiner Schuld. Er hat Angst vor einer – macht eine zweideutige Handbewegung – fotografischen Indiskretion. Da staunst du, was? Das hast du nicht gewusst, dummer Sack! Deine Prügel kannst du dir später abholen, wenn ich die da – sie wendet sich an Riccarda – rausgeworfen habe. Avanti, Frau Pokerkönigin, oder ich mach dir deine Stichwunde neu!
RiccardaDu brauchst Geld? Hier hast du! Sie zieht unter dem Kopfkissen immer neue Bündel hervor und wirft sie ins Zimmer. Da und da und da!
GesinaWoher hast du das Geld, Miststück?
Riccarda Gib mir eine 100-Lire-Münze, und das Geheimnis ist dein.
GesinaDu hast Glück! Ich hab noch eine, meinen Poker-Talisman. Das erste Geld, das ich als Kind erschwindelt habe. Hier hast du sie. Sie schnippst ihr das Geldstück zu.
RiccardaUnd hier hast du ein Fläschchen, das dir Geld verschafft, bis du daran erstickst! Sie wirft ihr das Fläschchen zu. Zu Evaldo: Hilf mir aus dem Bett. Und dann lass uns verschwinden.
Evaldohilft Riccarda auf die Beine. Sie stützend, gehen beide zur Türe.
GesinaHaut nur ab, ihr verliebten Narren. Ich weiß euch zu finden, wenn mir danach ist. Doch nun gehe ich zum Pokern. Spöttisch zum Fläschchen sprechend: Dazu brauche ich ... äh ... 100.000 Euro. Sie zuckt zusammen und greift sich in die Hosentasche. Gesina sieht sehr erstaunt aus, als sie ein neues Bündel Geld hervorzieht.  

 

– Vorhang–
Zwischenmusik: Zeit, du wunderliches Ding (CD: Nr. 24)

Eine Sängerin auf der Schaukel, zwei Grimassen schneidende Tänzerinnen
und der taktgebende Teufel

Zeit, Zeit, Zeit Zeit,
Zeit, Zeit, Zeit,
du wunderliches Ding,
vergehst wie Schnee auf frischem Brot.

Zeit, Zeit, Zeit, Zeit,
Zeit, Zeit, Zeit,
ein Leben pendelt
zwischen Freude, Trauer, Glück und Not.

Hör nur zu und
hör nur zu,
denn jeder Taktschlag zeigt,
das Ende kommt jetzt bald in Sicht.

Hör nur zu und
hör nur zu
und schlägst du auch die Zeit tot,
du entrinnst ihr dennoch nicht.

Zeit, Zeit, Zeit, Zeit,
Zeit, Zeit, Zeit,
plötzlich merkst du,
dass du nur noch 30 Sommer hast.

Zeit, Zeit, Zeit Zeit,
Zeit, Zeit, Zeit,
zigtausend Jahre Menschheitswissen trägst ' als schwere Last,
drum lebe, als ob ein jeder Tag dein letzter wär.

Riccardas Glück

15. Szene
Evaldos Zimmer

Riccardain etwas bescheidenerer Kleidung.
Evaldonicht mehr so gigolesk gekleidet, eher zurückhaltend bürgerlich, aber adrett und schöner wirkend als vorher.
Gesinagekleidet wie vorher; Frisur und Sitz ihrer Kleidung ist allerdings nicht mehr so perfekt. Sie wirkt gehetzt, dreht sich alle Augenblicke nervös um.
Adamowie vorher, verzweifelt wirkend.

Riccarda und Evaldo sitzen am Tisch und nehmen einen Imbiss ein.
Evaldos Zimmer hat sich nicht verändert, nur die Beleuchtung ist nicht mehr so lasziv

Riccardaöffnet eine Flasche Prosecco, gießt Evaldo und sich ein und stößt mit ihm an: Auf uns, mein Lieber!
Evaldotrinkt einen großen Schluck: Ah! So etwas Gutes habe ich lange nicht getrunken. Was ist der Anlass für solch ein Fest? Willst du mir einen Heiratsantrag machen, weil du dich in solche Unkosten stürzt?
RiccardaWarum eigentlich nicht? … Nein, der Grund ist: Heute vor vier Wochen habe ich deiner Gesina das Fläschchen verkauft. Und seitdem geht es mir richtig gut. Auch, weil du bei mir bist. Ich habe dich lieb, Evaldo!
EvaldoIch dich auch, Riccarda. Aber sage bitte nicht „meine Gesina“. Ich möchte dir nicht erzählen, wie ich zu der gekommen bin. Verschone mich mit den alten Geschichten.

Liebeslied (CD: Nr. 25)

Letzte Nacht hab ich geträumt
von einer Lichtung tief im Wald.
Dort blüht die schönste Orchidee
in einer Farbe weiß wie Schnee.

Ein wildes Röschen hell und rot
hat seine Dornen wie zum Schutz
um diese Orchidee gelegt.
Das hat im Herzen mich bewegt.

Ich will, dass nichts die beiden trennt,
dass sie im Stillen weiter blühn,
dass ich ihr Bild im Herzen trag:
ein Anblick reiner Poesie.

Als ich erwache, liegen wir
getaucht in sanftes Morgenlicht
im blütenweiß bezogenen Bett
so eng umschlungen wie noch nie.

Gesinabetritt zusammen mit Adamo das Zimmer, wirft einen Schlüssel auf den Tisch, tut freundlich: Ich habe vergessen, meinen Schlüssel bei dir abzugeben, nun, da du ein neues Leben anfangen willst. Wie ich sehe, geht es euch ganz gut. Nicht so wie dem armen Adamo, der zusammen mit seiner geliebten Capitana am Hungertuch nagt und schon nach vier Wochen winselnd bei mir angekrochen gekommen ist. Nicht wahr Adamo!? Stellt Euch vor, die beiden wollten nach Neuseeland. Und haben es nicht einmal bis nach La Specia geschafft! Kichert hämisch. Adamo?
Adamotritt von hinten an Evaldo heran. Gequält: Ja.
GesinaWie heißt das?!
AdamoJa, Herrin!
Gesina Na also! Geringschätzig auf Evaldos und Riccardas Mahl schauend: Prosecco und Wurstbrötchen. Meine Hochachtung! Lauernd: Ich könnte dir jetzt viel Glück wünschen, dir und deiner verliebten Versagerin. Es ist eine Freude, zu sehen, dass du ein anständiger Bursche werden willst … Plötzlich aufbrausend: aber du hast Pech! Adamo, du weißt, was du zu tun hast!
Adamopackt Evaldo an den Haaren, reißt ihm den Kopf zurück und setzt ihm ein Stilett an die Kehle.
GesinaWenn du nicht mit mir kommst, gehst du nirgendwo mehr hin. Du weißt doch: einmal Stichjunge, immer Strichjunge. Laut und zynisch: Habt ihr wirklich geglaubt, ich würde mein bestes Pferdchen frei lassen, ihr Narren?
Riccardaspringt entsetzt vom Tisch auf und will Evaldo helfen, bleibt aber wie erstarrt stehen, als sie das Stilett an Evaldos Kehle sieht. Zu Adamo: Nein! Lass ihn los. Ich bitte dich.
Gesinavoller Zynismus: Du hast recht. Es wäre schade um solch ein herrliches Geschöpf. Riccarda: Pass auf, ich schlage dir ein Geschäft vor. Adamo tut Evaldo nichts zuleide, wenn du mir etwas abkaufst. Du weißt, was ich meine?
Riccardaentsetzt und mit Grabesstimme: Das Fläschchen.
GesinaGenau! Du bist ein schlaues Mädchen. Aber ich muss dir sagen, die Preise sind gefallen.
RiccardaWas willst du?
GesinaDu kannst Evaldo zeigen, wie sehr du sie liebst, indem du … – macht eine kunstvolle Pause, während der Adamo Evaldo heftig an den Haaren zieht – in deine Weste greifst und ...
EvaldoTu es nicht, um Himmels willen!
GesinaOh, wie edel Evaldo. Mir kommen die Tränen … Sie wendet sich an Riccarda: indem du in deine Weste greifst, deinen Glückspfennig herausfingerst und mir damit besagten Gegenstand – sie zieht das Fläschchen an Daumen und Zeigefinger hervor und präsentiert es mit abgespreizten Fingern, als ob sie sich davor fürchte oder ekele – abkaufst. Sie gibt Adamo ein Zeichen
Adamolässt von Evaldo ab.
EvaldoGib nicht deine Seele für mein Leben, Liebste!
Gesinastellt das Fläschchen auf den Tisch und gibt Adamo ein Zeichen.
Adamolegt das Stilett wieder an Evaldos Kehle und zerrt mit Nachdruck an seinen Haaren.
Gesinaäfft Evaldo nach :Gib nicht deine Seele für mein Leben, Liebste. Mit normaler Stimme: Halte die Schnauze, gefühlsduseliger Kerl. Und, Riccarda? Das ist doch ein faires Geschäft, oder? Oder!?
Riccardaholt ihren Pfennig hervor und legt ihn auf den Tisch. Hier hast du.
Gesina Besten Dank, liebste Freundin.
Adamolässt Evaldo los.
Gesinasteckt den Pfennig ein, ehrfurchtsvoll, als sei es ein Juwel. Und damit mir diese Teufelsflasche – unerwartet heftig werdend – nicht nochmals unterkommt, – reißt Adamo das Stilett aus der Hand, stürzt sich auf Riccarda und sticht sie nieder – bekommst du diesen Stich noch gratis dazu. Salut und frohes Sterben.
Adamopackt den jammernden Evaldo und zerrt ihn aus dem Zimmer.

– Vorhang –

Verwandlungsmusik: Frohes Sterben! (CD: Nr. 26)

Riccardas Glück

16. Szene
van Helsings Labor

van Helsingwie vorher.
Lucio Fèrrowie vorher.
Evaldowie vorher, jedoch mit zerrissener Kleidung, derangierter Frisur und schmutzigem Gesicht.    
Riccardawie vorher, das Hemd jedoch mit Blut getränkt.

van Helsing und Lucio Fèrro sitzen am Tisch beim Schachspiel und trinken Rotwein,
im Hintergrund festliche Instrumentalmusik
Noch ein Spielchen? (CD: Nr. 27)

Lucio Prost, Leviathne. Diesmal sieht es schlecht für Sie aus. Riccarda ist verloren, Evaldo geht an zerbrochenem Herzen zugrunde und Gesina hat seit Wochen alle Zuhälter und die Polizei im Nacken ... sie besitzt einfach zuviel Geld. Und das ist, wie wir wissen, lebensgefährlich.
van HelsingUm Gesina geht es doch gar nicht. Die macht sich selber fertig, da braucht es keine Teufels- und keine Engelskunst. Die gehört eigentlich gar nicht ins Spiel. Evaldo und Riccarda hingegen scheinen ihre Liebe entdeckt und sich gefunden zu haben. Der letzte Zug ist noch nicht getan. Prost Lucio, warten wir ab. Evaldo wird gleich auftauchen. Es klopft heftig an der Tür. Wer sagt’s denn! Van Helsing steht auf und öffnet sie. Ein völlig aufgelöster Evaldo fällt ihr in die Arme.
EvaldoFrau Doktor, kommen sie schnell. Riccarda liegt in meiner Wohnung im Sterben. Bitte retten Sie sie. Ich gebe Ihnen soviel Geld, wie Sie wollen. Wenn sie nur am Leben bleibt! Er murmelt ein paar Worte und zieht dann ein mächtiges Bündel aus seiner Tasche hervor.
Lucioerstaunt: Evaldo, hast du etwa das Fläschchen?
van Helsingeilig: Lass dein Geld stecken Junge, gib mir deinen Hausschlüssel. Du bleibst hier. Im Labor kann dir keine Gesina und kein Teufel etwas anhaben. Sie holt ihre Arzttasche und eilt zur Tür hinaus.
LucioErzähle, Evaldo. Die Geschichte scheint spannend zu werden.
Evaldoaußer Atem und mit verzweifelter Stimme: Gesina hat zusammen mit Adamo Riccarda gezwungen, ihr das Fläschchen für einen Pfennig abzukaufen, sie dann niedergestochen und mich mit sich gezerrt. Auf der Straße wurde Gesina plötzlich von Adamo erdolcht, der offensichtlich seine Augen wieder holen wollte. Ich ließ Gesina in ihrem Blut liegen und eilte zu Riccarda zurück, in der kaum mehr Leben war. Mit einer Muschel aus Hawaii, die dort als Zahlungsmittel gilt, kaufte ich ihr das Fläschchen ab, damit sie in Ruhe sterben kann. Die Muschel war mein Talisman. Ich gewann sie als kleiner Junge bei einer Tombola. Sie scheint weniger als ein Pfennig wert zu sein, sonst würde das Fläschchen nicht funktionieren.
Luciotraurig, aber doch etwas amüsiert Es scheint, mein Kleiner, deine Seele gehört mir. Die wollte ich zwar gar nicht, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Sieh zu, dass du noch ein wenig lebst in Saus und Braus, denn Geldnöte kennst du fortan keine.
EvaldoDu bist ...?
LucioJa, ich bin der Geist, der stets verneint, der Lichtbringer, der Morgenstern, Luzifer, der gerne faire Spiele spielt.
EvaldoDu hast das alles eingefädelt?
LucioRiccarda wollte es nicht anders. Sie hatte eine Chance, sie hat sie vertan. Dann kamst du … Was soll ich davon halten?
EvaldoHalte was du willst. Ich möchte nur, dass Riccarda wieder gesund wird. Sie war der erste Mensch, der mir gezeigt hat, wie es ist, wenn einen jemand lieb hat, verzeihen kann und den ganzen Schrott. Er fängt zu weinen an. Riccarda betritt mit van Helsing, von der sie gestützt wird, das Labor. Evaldo stürzt sich auf Riccarda, setzt sie auf einen Stuhl und liebkost sie: Liebste, nun wird alles gut.
van HelsingDas war Rettung in letzter Sekunde. Riccarda hatte so gut wie kein Blut mehr. Nur noch Magie konnte helfen. Und, Lucio … jetzt kommt mein letzter Zug: – Sie holt aus ihrer Tasche einen Kaufvertrag – Das Institut für Psi-Forschung in Kaliningrad hat mich – übrigens schon vor geraumer Zeit – beauftragt, das letzte existierende Galgenmännlein für die kleinste Währungseinheit der Welt – ein Guliminh-Bit – zu erstehen. Evaldo, wünsche dir ein paar Millionen Euro, und dann verkaufe dem Institut das Ding, damit das dumme Spiel endlich zu Ende kommt.
Evaldo Den Teufel werd‘ ich tun!
van Helsing Was?
Luciokichert diabolisch.
EvaldoDen Teufel werd' ich tun und mir noch einmal Teufelsgeld wünschen! Hier hast du. Gib mir den Bit. Van Helsing zieht einen Guliminh-Bit aus der Tasche und händigt ihn Evaldo aus, der ihr sofort das Fläschchen gibt. Bewundernd hält er den Stein gegen das Licht: Oh, ist der schön: ein Halsschmuck und ein neuer Talisman. Riccarda und ich werden uns schon durchschlagen. Vielleicht eröffnen wir den ‚Schwarzen Reiter" wieder? Capitana würde ihn uns bestimmt verpachten. Wir müssen sie nur auftreiben, die Gute. Flair hatte sie ja, ihre Kneipe. Wenn man sie ein wenig aufmöbelt? Was meinst du Riccarda. Machst du mit?
Riccardamurmelt schwach: Alles was du willst, Evaldo. Sie fällt ihm in die Arme.
Luciofrustriert: Gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen.
van HelsingUnd das ist gut so. Nach einer Kunstpause, in der sie beginnt, das Schachspiel neu aufzubauen: Lucio, ein neues Spiel? Es gibt da in der Stadt einen Bankdirektor …

– Vorhang –

Musik: Venedig, du Schöne, instrumental (CD: Nr. 28);
danach eventuell CD: Nr. 1 wiederholen)


Ende




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