Geschichts-Archiv

1981 01.07.

Eine Nürnberger WG macht sich auf auf's Land

Im Juli 1981 zogen 6 Männer und drei Frauen (Hagen, Otto, Isolde, Frieder, Uschi, Hans-Jürgen, Hans, Hanne und Golly) in ein Schulhaus aus der Jugendstilepoche. Die 9 hatten vorher in einer Wohngemeinschaft in Nürnberg-Johannis gewohnt - Ausgangsbasis für dieses Projektvorhaben.

Angestrebt wurde seinerzeit ein freies, undogmatisches, solidarisches Zusammenleben zur Entfaltung der einzelnen Persönlichkeiten mit der politischen Zielsetzung, menschen- und umweltgerechte Strukturen in allen Lebensbereichen zu schaffen, zu unterstützen und zu erhalten.

Geplant waren nach Beendigung der wichtigsten Renovierungs- und Ausbauarbeiten unter anderem die Errichtung eines Tonstudios und einer - so nannten wir es damals - "Grundkunstbühne" mit Liveveranstaltungen und Filmvorführungen. Da bereits nach einem Jahr 5 der ursprünglichen 9 schreiend das Weite gesucht hatten: "Wir lassen uns doch unsere Träume nicht nehmen!" (statt sie zu verwirklichen, kicher...), kam der verbleibende Rest (Hans-Jürgen, Hans, Hanne und Golly) sehr schnell auf den Boden der alltäglichen Realität zurück. Siehe in diesem Zusammenhang auch das Foto links oben.
Im September 1981 öffnete die Kneipenbühne mit einem grandiosen Anfangserfolg, im Februar 1982 wurde "Projekt Film & Kunst e. V." gegründet - ein Verein zur Förderung der Kunst, dem auch postwendend die Gemeinnützigkeit zugesprochen wurde, die er auch heute noch besitzt; und aus den 10 anfänglichen Mitgliedern wurden im Lauf der Jahre weit über 100.

Im ersten Jahr wurde nach der Zimmerverteilung und der Sanierung der Klärgrube sofort mit der Renovierung der Fassade begonnen - alles im Do-it-yourself-Verfahren, auch wenn manche beim Besteigen des Gerüstes echte Panik bekamen. Nebenbei machten wir unseren knapp 2000 qm großen Garten urbar und zerstörten damit den letzten Rest Oberpfälzischen Urwalds...

Und wir renovierten und renovierten. Manches machte richtig Spaß: so zum Beispiel das Restaurieren des Bibelspruches über unserer Tür, "Kommet, Kinder höret mich, ich will euch die Furcht des Herren lehren. Ps. 33.11". Das Witzige - abgesehen von der unglaublich stringenten pädagogischen Aussagekraft (die Schulkinder mussten tagtäglich unter diesem Spruch durch, bis in die 60erJahre!) ist jedoch die falsche Quellenangabe: richtig muss es heißen: "Ps. 34.12", was aber die Qualität des Spruches auch nicht erhöht …

Von den ursprünglich 9 Projektlern sind jetzt noch Hanne und Golly übrig ((dieses merkwürdige zwischenmenschliche Gift ist restlos verschwunden)) - das alte Schulhaus ist mittlerweile zu einem der schönsten Gebäude im Landkreis geworden, der Garten wurde um einen 200 qm großen Teich bereichert (ein voll funktionierendes Biotop), auf dem Dach befindet sich eine Photovoltaik-Anlage, die mit ihren 4,2 Kwh Nennleistung einen kleinen Beitrag zur Schaffung einer liebens- und lebenswerten Umwelt leistet (seit Inbetriebnahme im August 2001 hat sich ein durchschnittlicher Ertrag von etwas mehr als 10 Kilowattstunden pro Tag ergeben, also etwa 3650 Kilowattstunden pro Jahr), das Haus wird komplett mit Holzpellets (ökologisch sinnvoll verwertete Energie - teilweise auch aus aus Abfällen von Sägewerken und Schreinereien) beheizt, das Kulturprogramm ist lebendig wie eh und je und das auf modernen Standard umgerüstete Aufnahmestudio kann zu Beginn des Jahres 2009 auf 28 Produktionen (in 21 Jahren) zurückblicken. (Der Name der in den 80er-Jahren gegründeten Zeitschrift "Knopf" hat sich übrigens auf wundersame Weise ins Studio hinübergerettet).

Und so wurden die utopisch anmutenden Ziele, die von der "Projektgruppe" am Anfang so plakativ formuliert worden waren, heimlich, still und weise (resp. leise) in die Tat umgesetzt, zwar nicht in der angestrebten Lebensform einer Kommune (gegen die auch nach all den Jahren nichts sprechen würde: wenn die richtigen Menschen kommen...) und bloß wieder in "bürgerlicher" Zweisamkeit, aber eigentlich ist das Wie ja egal. Denn "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen" (Adorno). Hauptsache dass. Denn dass die Welt geändert werden muss, ist doch wohl klar: "Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wie, wenn ohne Liebe? (Und) Wer (soll sie ändern), wenn nicht wir?" (Rio Reiser)

Im Herbst 2009 schließlich, nach 28 Jahren erfolgreicher Kulturarbeit, werden wir mit dem Kulturpreis des Bezirks Oberpfalz ausgezeichnet. Siehe weiter unten.