Veranstaltungskritiken
Würdigung vergangener Veranstaltungen in der Kneipenbühne:

Waldo Worbel
»Im winzigen Weiler Zongenschluss bei Calau, der sich in einem der vielen Bezirke der Ahnungslosen (in der ehemaligen sowjetisch besetzten Zone) befindet und auf keinem Shell- oder gar Weltatlas vermerkt ist, lebe ich, Waldo Worbel*. Man nennt mich den Wurbelwirt, weil ich einst die längst pleite gegangene Restauration ›Zur Wirbelpost‹ betrieben habe. Ich fröne einer Leidenschaft für Schüttelreime und Zungenverknoter. Meine kalauernden und schwer erträglichen Kurzgedichte sind so verschwurbelt, dass die fünf anderen Zungenschlosser Weilerbewohner innen wie außen unter massiven Sprachstörungen leiden. Statt ›Badewännchen‹ sagen sie zum Beispiel ›Wadebännchen‹, statt ›Soredenwirnicht‹ mäandern sie ›Rosettenirrlicht‹, statt ›Der Knabe im Moor‹ (Annette von Drosten-Hülsentropp) ›Die Made im Knorr®‹ … und Schlimmeres. Niemand versteht sie so recht (außer vielleicht Menschen, die ein Hörgerät bräuchten und aus unerfindlichen Gründen keines verschrieben bekommen). Sprachforschende haben einen neuen Begriff geprägt: sie nennen das Kauderwelsch ›neosorbisch‹ (was meiner Meinung nach komplett an der Realität vorbeigeht, wenn schon nicht geometrisch … äh -grafisch, so doch linguistisch).
Niemand der armen aber ehrlichen Bauersleute in Schlongenzuss wagt es, sich über meine Worbelwörter zu beschweren – schließlich bin ich der einzige und letzte Postkutscher von Cottbus, der das Örtchen Schlungenzoss – sorry Schlongenzuss, äh … Zongenschluss – mit der Außenwelt verbindet. Leider bewege ich die ›Bundespost-Kutschn‹ nur einmal im Monat, nämlich um die zwei uralten im Weiler allseits beliebten ›Kramerweiber‹ – Bernadi und Dalmati Nerr – in die nahegelegene kreißfreie [!] Stadt zum Frauenarzt zu bringen, ein sinnloses Unterfangen, aber die beiden sind das seit über sechzig Jahren so gewohnt..
Ich spanne am jeweiligen Gynäkologenmorgen die alten Klepper vor die marode, knarzende Cottbuser Postkutsche und hieve die für ihren treuen Hundeblick berühmten betagten Damen an Bord – man kennt sie nicht auseinander, sie sind eineiige Zwillinge.
Die Luft im Tal beginnt in einem solchen Moment zu flimmern und ein sonderbares Summen erfüllt die Stille. Das historische Gefährt wird für einen Augenblick – kürzer als eine Nanosekunde – in eine Welt geworfen, die nur als Sprache existiert. Die Blätter der Bäume bestehen aus Wortfetzen, aus den Wipfeln tropfen täglich taufrisch teuerste Tsungenbrecher, Buchstabenschiffchen tanzen auf dem glitzernden Schlangenzuss… äh Zangenschlussbach, der Boden ist übersät mit Fake News… Nicht einmal mein alter Ego Waldi Wirbel bemerkt das. Zu kurz ist für irdische Lebewesen die Dauer des optischen Eindrucks. Das kann außer mir – und da bin ich stets ganz bei mir – keine alte Sau wahrnehmen!«
Diese absurde Geschichte erzählte mir auf meine Frage hin, was er denn für einer sei, spät in der Nacht ein unberechtigterweise an unserer Jahreshauptversammlung teilgenommen habender Gast, ein während der gesamten JHV und auch während des sehenswerten anschließenden Spielfilms (›15 Jahre‹, mit Hannah Herzsprung) unscheinbar Hintern – sorry – hinterm Vorhang auf Marys Fensterbank-Fettarsch-Ecke gesessen Habender, ein Ossi, wie sich später herausstellte, ein ausgesprochener Grampfbolln (Dummschwätzer).
Als alle Filmfans gegangen waren, outete er sich als Waldo Wirbelwort (sein Künstlername) und gab mir Beispiele außerordentlicher Schüttelreime:
Beim Winkler aß ich Lamm eben, erstaunlich: ich bin noch am Leben (na ja …)
Frau Störchin trug im Schnabel nur die Nabelschnur (Phänomenal!)
Die Pilze aus dem Birkenwald … die wirken bald (hoffentlich … Gräss-ortig, äh: großartig!)
Um ein Freibier zu bekommen, präsentierte mir der seltsame Besucher ein paar bemerkenswerte Zungenbrecher, zum Beispiel: Etz hab‘ i‘ für mei‘ halb‘s kalt‘s Kalbshalsspeckstück mei B’steck z’spät b’stellt. (Na ja, der ist mir seit Jahrzehnten bekannt … und ich beherrsche ihn!)
Ich spendierte ihm einen Schnaps.
Das war ein Fehler.
Waldo verträgt überhaupt nichts und war umgehend unbremsbar. Hier ein kurzes Exempel, das ich mir merken konnte – all die anderen Geniestreiche sind für immer verloren in den unendlichen Weiten der viele-Welten-viele-Wörter-Universen:
»Der Cottbuser Postkutscher putzt den Cottbuser Postkutschkasten.
Der bekotzte Cottbuser Postkutscher putzt den bekotzten Cottbuser Postkutschkasten.
Der mit Katzenkotze bekotzte Potsdamer [!] Postkutscher kotzt in den mit Katzenkotze bekotzten Cottbuser Postkutschkasten …«
Und endlich, im aufkommenden Vollrausch, grölte er ein fränkisches Lied:
»Der dreggerste Bus ist der Cottbus, Cottbus is der dreggerste Bus. E-'lisabeth, 'Elisa-'beth, Cottbus aufm Vogelbeerbaum, E-'lisabeth, 'Elisa-'beth, Cottbus bei der Nacht!«
Und etwas später, lallend und abschließend:
»Cottbus kotzt …«
Um Waldo loszuwerden, händigte ich ihm das monetäre Äquivalent der üblichen After-JHV-Gage aus; Sado-ffelkalat mit Drache-lstaat.
* Einst war Waldo Worbel ein berühmter Mann, denn er hatte (angeblich) die Ehre, den FDP-Gift-und-Galle-artig trumpfarbenen (bitte Glottisschlag zwischen p und f und das u englisch aussprechen; danke) Bundespräsidenten Walter Scheel bei seiner legendären ›Hoch-Auf-Dem-Gelben-Wagen‹-Promo-Tour zu kutschieren. Aber das weiß kaum jemand mehr; deshalb nur am Rande.
Auf Schwager Waldos Outdoor-Plumpsklo hängt ein Erinnerungsfoto vorn, Beschriftung: "Lustig schme-het-tert das Horn".