Veranstaltungskritiken
Würdigung vergangener Veranstaltungen in der Kneipenbühne:
Betretene Vorboten
Es dürfte wohl klar sein, dass sich unter der werten Leserschaft die eine oder andere Person befindet, von der die Überschrift dieses Beitrags falsch interpretiert wird, und die statt ›Betretene Vorboten‹ etwas ganz anderes liest, nämlich ›Betreten verboten‹. Vermutlich liest sie auch gar nicht weiter. Pech gehabt.
Was mich so sicher macht? Ich habe einmal auf der Fürther Kirchweih (艾未未 – Ai Weiwei, 郎朗 – Lang Lang ist’s her!) aus Jux und Tollerei ein Lebkuchenherz gekauft, das mit einem entscheidenden grammatikalischen Fehler versehen war. Darauf stand mit der üblichen cremeweißen Zucker-Schreibschrift ›Dem liebsten Oma‹. Das ›selbstgemachte Herze‹ (Originalwerbung des mittelfränkischen Süßkrambäckers) hing bis zu seiner endgültigen Zerbröselung hinterm O'wei-Tresen. Einigen Kneipenbühnen-Gästen entrang sich da hin und wieder der Ausruf: »Was, du bist schon Opa!?«
An der Bühnenrückwand befand sich eine Zeitlang eine alte Schultafel, auf der ich unter Verwendung von Hannes gerklauter Lehramtskreide Woche für Woche den Titel des jeweils nächsten Spielfilms ankündigte. In einem Fall war das ein kunsthonigsüßer Amikitsch mit Tom Hanks und Meg Ryan, für unser Niveau ein leicht klebriger Fehlgriff, wie sich herausstellte. Einer unserer Gäste jubelte:
»Endlich wieder einmal ein Western!«
»Wieso Western?« fragte ich leicht verwundert.
»Na, dort steht es doch: ›Schlaflos im Sattel!‹«
Nicht nur Cineasten dürften zu Recht vermuten, was da wirklich zu lesen war: ›Schlaflos in Seattle‹.
Manchmal schrieb ich als Gag auch die eine oder andere unumstößliche Wahrheit an die Tafel, zum Beispiel ‚›Der Sommer ist kein Samowar.‹
»Ja, ja«, hörte ich da gleich darauf jemanden mit mitleidheischender Stimme stöhnen, »Der Sommer, der kein Sommer war.«
Genug der traurigen Beispiele. Ende der verzweifelten Vorrede.
Völlig zur Unzeit erschienen am frühen Abend des zweiten Weihnachtsfeiertags zwei abgekämpft wirkende, traurig aussehende Gestalten (offenbar Musiker, ihrer schäbigen Kleidung nach zu urteilen) vor unserer Haustüre und baten um Einlass. Sie hatten zwei riesige Transportbehälter dabei, und ich öffnete flugs, fast reflexhaft die beiden Flügel unserer nagelneuen, sündhaft teuren, nach Originalvorlage gebauten Jugendstiltüre. Ich befürchtete, die Uriane würden ansonsten mit ihren Überseekoffern versuchen, die schwere Holztüre aufzustoßen. So mancher ferngesteuerter Musikant macht das nämlich mit seinem extraschweren Vintage-Verstärker, seinem Instrumentencase, seinen Schlagzeugteilen et cetera, wenn ich nicht rechtzeitig öffne – Hanne musste da schon einiges ausbessern – und das tut sie nicht gern: »Es ist zum Kotzen!«
Jedenfalls hatte ich nun den Salat:
Die beiden Typen rumpelten in die Kneipe, erstürmten die Bühne und begannen unverzüglich, in ihren Big Boxes zu kramen.
Dabei sangen – oder besser grummelten – sie eine bekannte Kinderweise, deren Text ebenso klar wie in diesem Fall schwer zu verstehen war: »Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben.“ Sie wiederholten die beiden Textzeilen immer und immer wieder, während sie ihre Kollektion (oder sagten sie ›Kollision‹?) auspackten, eine große Anzahl ausgestopfter Hasen.
»Stop!« rief ich, »Ostern ist doch längst vorbei, was soll das denn?«
»Wir nennen uns ›betretene Vorboten‹: Wir werden unserer uns von höchster Stelle aufgebrummten Vorbotenschaft so gut wie nie gerecht: das macht uns betreten. Auch heute sind wir in jeder Hinsicht zu spät.«
(›Oder zu früh?‹ dachte ich.)
»Aha, aber wenn ihr der Ostermann seid, warum singt ihr dann ein Weihnachtslied?«
»Wir sind nicht der Ostermann, und das ist unser anderes Problem: kaum jemand hört uns zu.«
Dann fingen sie wieder an, ihre Melodie zu mummeln. Und jetzt verstand ich »Morgen kommt der G’weih-mach-Mann, kommt mit seinen Gabeln.« Was das bedeute, wollte ich wissen, und überhaupt: »Morgen? Ihr seid doch jetzt schon da.«
»Ja«, meinte einer der beiden, »wir sind jetzt schon da, aber wir werden erst morgen fertig.«
»Womit, um Himmelswillen?«
»Na ja, wie machen Geweihe – Gabeln halt! – an diese Dinger!« Er deutete auf die ausgestopften Tiere. »Und dann verkaufen wir dir eines…«
»Oder zwei …« rief der andere.
»Oder alle!« Der erste wieder.
»Gabeln an die Dinger?«
»Ja, das werden Wolper-Dinger!«
»Wolpertinger?«
»Sag ich doch! Geweih-Mach-Mann. Menno!«
Sie bastelten die ganze Nacht unbeirrt, obwohl meine Ungeduld und die dazugehörige schlechte Laune genauso wuchs wie damals, als die Freisinger Gabriele, meine ungeliebte Steuerprüferin, exakt nachgewiesen haben wollte, warum Hanne und ich so wenig Geld brauchen – sie musste unbedingt in den Keller, um unsere Winteräpfel zu begutachten (oder gar zu zählen?), die wir im eigenen Garten geerntet hatten. Als ich ihr einen extrasauren Boskop (wurmig, wie er war) anbot, wies sie ihn entrüstet zurück und faselte etwas von ›geldwertem Vorteil‹. Es war zum Forteilen, zum Die-Füße-in-die Hand-nehmen. Aber das ist eine andere Geschichte.
(Das Bild mit den Notenlinien und dem Lippenstift-Abdruck ist für Gabi: es heißt ›Fis-Kuss‹)